Während rechte Hetzer u.a. auf der Musk`schen Propagandaplattform X bis heute längst widerlegte Verleumdungen über die Täterschaft beim Anschlag in Mannheim verbreiten, zogen die polizeilichen Ermittler und die Mannheimer Staatsanwaltschaft, schon wenige Stunden nach der Tat ein Fazit:

Tatverdächtig sei ein 40jähriger Deutscher namens Alexander S. Es gebe „Anhaltspunkte für eine psychische Krankheit“, man gehe nicht von einem politischen Motiv aus, so der Ticker der Tagesschau-Redaktion schon sechs Stunden nach der Tat.

Einen Tag später (am 4. März) sagt der zuständige Leitende Oberstaatsanwalt in einer Pressekonferenz sogar, „nach bisherigen Erkenntnissen können wir ausschließen, dass es sich um eine politisch motivierte Tat handelt. Wir haben vielmehr konkrete Anhaltspunkte auf eine psychische Erkrankung“, und später sagt er „Wir haben Anhaltspunkte, dass er in Behandlung war“.

Eine psychische Auffälligkeit, mal „Störung“ und mal „Krankheit“ genannt, ohne sie konkret(er) zu bestimmen, wird bislang als einzige Taterklärung präsentiert.  An der in der Pressekonferenz vorhandenen Informationsdichte kommen jedoch erste Zweifel auf, wenn die Mannheimer Polizeipräsidentin über die Ereignisse nach der Tat bis zur Festnahme offenbar nichts weiß, obwohl über das Eingreifen des pakistanischen Taxifahrers schon am Vorabend sehr konkret berichtet wurde.

Und erhebliche Zweifel an der Auskunft des Staatsanwalts zur Tatmotivation kommen in derselben Pressekonferenz auf, wenn klar wird, dass die Polizei gerade erst dabei ist, eine Durchsuchung vorzunehmen, um dann etwa anhand der Social-Media-Präsenz und sonstigen digitalen Spuren weitere motivationale Tathintergründe aufzuklären. Wie kann man denn eine politische Tatmotivation ausschließen, wenn man dazu offenbar noch gar nicht ermittelt hat?

Zudem weist der Oberstaatsanwalt zwar auf Vorbelastungen des Tatverdächtigen hin, verschweigt aber zunächst, dass es sich bei einer dieser Taten um eine Verurteilung wegen eines  (offenbar rechtsradikalen) Äußerungsdelikts handelt. Erst auf Nachfrage wird er diesbezüglich konkret und äußert (mit verharmlosender Gestik und Mimik) der Täter sei 2018 wegen eines „Hatespeech“-Kommentars auf Facebook zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Auch auf insistierende Nachfrage des BILD-Reporters (!) hält er seine abwiegelnde Richtung durch: Das Wort „rechts“ kommt ihm nicht über die Lippen, er meint sogar, der Kommentar (er sagt nicht, dass es „Sieg Heil“ unter einem Hitlerbild war) – für den dieser Mann immerhin per Strafbefehl verurteilt wurde (!) — sei möglicherweise aus „Dummheit“ erfolgt. Wenn man weiß, dass mehr als die Hälfte  aller anklagefähigen Delikte in Deutschland nach §§ 153, 153a StPO eingestellt werden, kann man jedoch schon ermessen, dass eine Verurteilung eines 33jährigen Erwachsenen  durchaus Aussagekraft hinsichtlich einer auch mit 40 Jahren noch vorhandenen Gesinnung haben kann.

Generell scheint mir, dass die Justiz hier die nötige Vorsicht missen lässt. Schon so kurz nach der Tat und ohne Ermittlungen durchgeführt zu haben, ein Gesinnungsmotiv ausdrücklich auszuschließen, ist fahrlässig und kann auch – ebenso wie beim größten Polizei- und Justizversagen der modernen Bundesrepublik (Mordserie des NSU) nach hinten losgehen und wertvolles Vertrauen in Polizei und Justiz gefährden. Insofern lobenswert die Antwort des LKA-Präsidenten, der in derselben Pressekonferenz betont, dass man hierzu gerade erst begonnen habe zu ermitteln und der auch nicht von „Ausschluss“ eines politischen Motivs spricht, sondern hier sogar einen „Schwerpunkt“ der weiteren Ermittlungen verortet.

Inzwischen müsste sich auch außerhalb kriminologischer Fachkreise herumgesprochen haben, dass sich psychische Auffälligkeit, Störung oder gar Erkrankung und politische bzw. religiöse Motivation, keineswegs ausschließen, sondern – sogar häufig – kombiniert auftreten: In einer ganzen Reihe von zunächst  als „Ausraster“ oder „Amok“ wahrgenommenen Taten psychisch auffälliger Personen ergab sich bei näherem Hinsehen (auch) eine ideologische Radikalisierung der Täter, manchmal sogar, wie insbesondere bei Taten, zu denen sich der IS bekannte, eine Instrumentalisierung psychisch labiler „einsamer Wölfe“ für terroristische Zwecke.

Speziell eine Kombination aus Rechtsextremismus und psychischer Auffälligkeit war auch bei dem OEZ-Attentat in München (2016) und beim  Magdeburger Anschlag (2024) zu beobachten. In beiden Fällen haben die ermittelnden Behörden – ebenso wie jetzt die StA Mannheim – politische Motivation und psychische Auffälligkeit/Erkrankung als Gegensätze gesehen und deshalb ein (rechtsextremistisches) politisches Motiv vorschnell ausgeschlossen. In beiden Fällen wurden die Ermittler  früher oder später eines besseren belehrt.

Mittlerweile wurde durch zivilgesellschaftliche Ermittlungen (EXIF) bekannt, dass der Mannheimer Tatverdächtige  vor einem Panzer und mit Schnellfeuerwaffe posierte, ,mindestens an einer rechtsextremistischen Versammlung teilnahm und – was alarmierend wäre – offenbar zu einer im Untergrund agierenden bayerischen Waffenhändlergruppe namens „Ring Bund“ Kontakt gehabt haben soll. Diese Information von der anonym betriebenen EXIF-Plattform hat heute auch der Rheinneckarblog aufgegriffen. Auch das ZDF und stern.de (paywall) haben jetzt entsprechende Recherchen publiziert.

Niemand weiß derzeit, welche Relevanz diese (zumindest früher beim Tatverdächtigen gegebene) rechte Gesinnung und die genannten Kontakte für die Tatmotivation vorgestern haben. Aber vor diesem Hintergrund politische Motive erst einmal „auszuschließen“ erscheint mir, vorsichtig formuliert, fahrlässig.

Updates (6.3 und 7.3.2025): In der Pressemitteilung von Polizei und Staatsanwaltschaft vom 6.3. am Nachmittag geht man auf die obigen Einwände ein:

Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen gibt es weiterhin keine Anhaltspunkte dafür, dass der konkreten Tat ein extremistisches oder politisches Motiv zugrunde lag. Gemäß den bislang vorliegenden Erkenntnissen, bestehend aus umfangreichen ärztlichen Unterlagen und einer Vielzahl sich gegenseitig bestätigender Zeugenaussagen, ist davon auszugehen, dass bei dem Tatverdächtigen seit vielen Jahren eine psychische Erkrankung vorliegt. Er befand sich in der Vergangenheit regelmäßig in ärztlicher bzw. psychiatrischer Behandlung, zuletzt im vergangenen Jahr auch stationär. Hinweise auf mögliche Kontakte des 40-jährigen Mannes ins rechtsextreme Milieu im Jahr 2018 sind den Ermittlungsbehörden bekannt und stehen ebenfalls im Fokus der Ermittlungen. Soweit der Mann wegen eines Kommentars auf einer Social Media Plattform im selben Jahr wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt wurde, findet dies im Rahmen der Ermittlungen ebenfalls Berücksichtigung. Abfragen bei verschiedenen Nachrichtendiensten führten allerdings zu keinen extremismusrelevanten Rückmeldungen. Auch bei den bisher gesichteten Asservaten konnten bislang keinerlei Anhaltspunkte für eine extremistische Gesinnung des Tatverdächtigen gefunden werden. Die Auswertung wird aktuell intensiv fortgeführt.

Immerhin scheint man sich jetzt – auch durch die Recherche der Plattform EXIF – gezwungen zu sehen, auch auf die Kontakte des Tatverdächtigen zur Nazi-Szene einzugehen, was in der gestrigen Pressekonferenz noch nicht erfolgte. Jedoch macht die Pressemitteilung immer noch den Eindruck, als könne die Tat nur entweder durch eine psychische Erkrankung oder durch politische Gesinnung erklärt werden. Das wäre eine Vorstellung aus dem vergangenen Jahrhundert.

Und auch wenn jetzt das LKA durchaus auch die rechten Hintergründe des Tatverdächtigen ermittelt, hat in den Ermittlungen zu einer konkreten Straftat nicht das LKA, sondern die Staatsanwaltschaft Mannheim „den Hut auf“. Und die ist möglicherweise auch daran interessiert, dass nicht der GBA die Ermittlungen an sich zieht. Die Öffentlichkeit sollte hier genau hinschauen und einen voreiligen Ausschluss der Ermittlungen in Richtung Rechtsextremismus verhindern. Wenn auch die StA Mannheim das rechte Auge zukneifen möchte, so sollte das den Medien kein Vorbild sein.

Das ZDF zitiert meinen Kollegen Matthias Jahn aus Frankfurt:

Dass sich aus diesen Hinweisen für die Staatsanwaltschaft keine Anhaltspunkte für ein extremistisches oder politisches Motiv ergeben, ist für den Frankfurter Strafrechtsprofessor Matthias Jahn von der Goethe-Universität zumindest „überraschend“: Es könne derzeit noch nicht klar sein, ob nicht auch ein politischer Beweggrund den Täter motiviert habe. Daher sei diese „sehr frühe Festlegung doch irritierend“, so Jahn.

Psychologisch ist der zuständige Oberstaatsanwalt jetzt schon im Abwehrmodus, denn es passiert das, was ich auch bei früherer Pressearbeit von Staatsanwaltschaften schon als Gefahr festgestellt habe: Die Vorfestlegung in der Öffentlichkeit führt mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass die Strafverfolgungsbehörde im Weiteren nur noch so ermittelt, dass die frühe Festlegung bestätigt wird. Es liegt in der menschlichen Natur, dass man nicht öffentlich eingestehen möchte sich geirrt zu haben.

Ein Gedanke zu „Mannheim – politisches Motiv ausgeschlossen?“
  1. Psychische Erkrankung und politische Gesinnung als Tatmotiv mit dem ausschließenden „oder“ im Sinne von „entweder – oder“ zu verknüpfen ist eine steile und sehr gewagte These, die einer genauen Begründung bedarf. Auch wenn man beides für gegensätzlich halten will – aus welchen Gründen auch immer, dann spricht vieles für eine Verknüpfung mit dem logischen „oder“. Das bedeutet, dass die verknüpfte Aussage auch dann wahr ist, wenn beide Gründe (Teilaussagen) zutreffen.

    Und mit den Gegensätzen (jedenfalls den naturgegebenen) verhält es sich regelmäßig so, dass sie nicht völlig artverschieden(!) sind. Sie unterscheiden sich lediglich dem Betrage nach. Minus-Pol und Plus-Pol eines elektrischen Stromkreises z.B., die für gegensätzlich gehalten werden, unterscheiden sich nur in dem Betrag der Elektronen. Der eine hat einen Überschuss und der andere einen Mangel. Auch Frauen und Männer sind nicht artverschieden z.B. in dem Sinne, dass sie artverschiedene Hormone hätten. Beide Geschlechter haben sowohl weibliche wie auch männliche Hormone. Nur bei dem einen überwiegt das eine Hormon und bei dem anderen das andere und ist ursächlich für die Bildung der Geschlechtsorgane.

    Wenn der unverständliche und voreilige Ausschluss der politischen Gesinnung lediglich dazu dienen sollte, die Übernahme der Ermittlungen durch GBA zu verhindern, dann könnte infolge davon doch aber auch der gesetzliche Richter entzogen werden. Solche Spielchen mit der Zuständigkeit habe ich noch nie so richtig verstanden. Gewohnheitsmäßig wird man in einer Mangelverwaltung doch eher nach Gründen suchen, um eine Sache abzugeben und nicht um sie zu behalten.

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