Ein zumindest in der juristischen Blogosphäre wichtiges strafrechtliches Thema war 2015, ob sich Bundeskanzlerin Merkel durch die (angebliche) „Öffnung“ der Grenzen für Asylbewerber und Geflüchtete strafbar gemacht habe. Ich habe damals meinem Kollegen Holm Putzke (Prof. in Passau) widersprochen.

Heute steht eine solche  „Grenzfrage“ wieder zur Debatte, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Und es geht dabei um die mögliche Strafbarkeit der Bundespolizist-inn-en, die die vom Bundesinnenminister angeordnete Zurückweisung an der Grenze durchführen sollen. Sven Hüber von der GdP hat diese Frage aufgeworfen – im Interesse der Gewerkschaftsmitglieder.

Soweit es bei Zurückweisungen ggf. zu Nötigungen gem. § 240 StGB gegen die Einreise begehrende Menschen kommt (Vorgehen mit einfacher Gewalt oder per Drohung mit empfindlichem Übel), bedarf dies einer Rechtfertigung. Die Norm § 18 Abs.2 Nr.1 AsylG, die hier auf den ersten Blick eine solche Rechtfertigung bietet, gestattet nach ihrem Wortlaut zudem zwar eine „Einreiseverweigerung“, aber eben nicht eine (ggf. nötigende) Zurückweisung, also ein Zurückschicken in den Staat, aus dem die betreffende Person unmittelbar kommt. Die Norm ist nach ganz h.M. europarechtlich überformt: Zumindest zur Durchführung der Prüfung, welcher Drittstaat zuständig ist, muss eine Einreise oder – falls vorhanden – zumindest eine Unterbringung an der Grenze, also ohne Einreise, ermöglicht werden. Und die Anweisung des Innenministers als Rechtsgrundlage bietet nur dann Rechtssicherheit für die Beam-inn-en, wenn sie wiederum rechtmäßig ist, was gerade nach den Beschlüssen des VG Berlin fraglich ist.

Wenden die Polizist-inn-en nötigende Gewalt an, um Menschen dazu zu bewegen, auf das Staatsgebiet zurückzukehren, aus dem sie gerade kommen, machen sie sich daher möglicherweise strafbar, denn Beamte haften (auch) für vorsätzliche strafbare Handlungen in vollem Umfang persönlich (§ 63 Abs. 1 BBG) – die Losung „ich tue ja nur, was mir befohlen wird“ stellt grundsätzlich keinen Rechtfertigungs- oder sonstigen Strafausschlussgrund dar. Drei Entscheidungen des VG Berlin – ergangen im Eilverfahren, die aber ausdrücklich die Vorwegnahme der Hauptsache beinhalteten – haben die an den Außengrenzen Deutschlands tätigen Beamten und Beamtinnen der Bundespolizei darauf aufmerksam gemacht, dass die ihnen angeordneten Zurückweisungen eventuell nicht dem geltenden Recht entsprechen. Im Wesentlichen sind diese Beschlüsse begründet mit im Europa- und Verwaltungsrecht nicht umstrittenen Erwägungen. Beamt-inn-en, die unsicher sind, ob das, was sie  tun sollen, rechtmäßig oder rechtswidrig ist, haben die Chance und auch die Pflicht, bei ihren Vorgesetzten zu remonstrieren (§ 63 Abs.2 BBG). Dies verschiebt die Verantwortung, zumindest dann, wenn auch die nächst höhere vorgesetzte Dienststelle die Anweisung ausdrücklich bestätigt, in den meisten Fällen auf diese höheren Stellen. Die Remonstration kann die Beamt-inn-en aber nur unvollständig strafrechtlich entlasten (vgl. § 63 Abs.2 S.4 BBG).

Im Übrigen könnten sich die Beamt-inn-en möglicherweise auf einen Verbotsirrtum nach § 17 StGB berufen. Aber was viele juristische Laien nicht wissen: Ein Verbotsirrtum befreit nur dann von Schuld und damit Strafe, wenn er „unvermeidbar“ ist. Ein erfolgreicher Nachweis der Unvermeidbarkeit ist in der Praxis schwierig und daher selten; regelmäßig wird man mindestens einen unabhängigen und fachkundigen juristischen Experten befragen müssen, wenn die Rechtmäßigkeit der Handlung infrage steht. Haben die betreffenden Beamt-inn-en dann vor ihrer (ggf. gewaltsamen) Vollstreckungshandlung nicht einmal remonstriert, gehen sie ein Risiko ein. Das Strafbarkeitsrisiko mag derzeit noch gering sein, solange die politischen Vorgaben noch eindeutig sind und lediglich ein VG entschieden hat. Aber die Lage an der Grenze ist selten so eindeutig, wie es uns konservative (und rechtsextreme) Politiker glauben lassen wollen. So war z.B. von einer der Zurückweisungen, über die das VG Berlin zu entscheiden hatte, eine Minderjährige betroffen. Und ob die Anweisung an die Bundespolizei auch Minderjährige einschließt, ist zumindest unklar.

Wer sich nur darauf verlässt, was der Gewerkschaftsführer Ostermann (DPolG, CDU) und ein Bundesminister (Soziologe, CSU), beide sind juristische Laien, öffentlich verbreiten, dürfte damit vor einem Strafgericht nicht durchkommen. Der öffentliche Ratschlag von politisch motivierten Politikern, die sich im Falle Ostermann als „Experte“ gerieren, dürfte nämlich die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums nicht beseitigen.

DPolG-Funktionär Ostermann (Welt TV, verlinkt von ihm selbst auf X) auf die Frage, ob es es Rechtsunsicherheit für die Beamt-inn-en an der Grenze gebe.:

„Nein das trifft nicht zu. (…) Wir haben keine Rechtsprechung dazu. Die Kolleginnen und Kollegen haben keine juristischen Nachteile zu befürchten, wenn sie geltendes Recht durchsetzen. Und das Gegenteil muss ein deutsches Gericht, und auch nur ein deutsches Gericht, dann auch erstmal aburteilen, und das sollten wir abwarten.“

Ich halte die Äußerungen von Herrn Ostermann auf Welt TV für fahrlässig uninformiert, und zwar strafrechtlich, beamtenrechtlich und noch mehr aus Gewerkschaftssicht. Offenbar meint er, man solle erst einmal abwarten, bis einer seiner Kolleg-inn-en verurteilt wird, bevor er überhaupt eine „Rechtsunsicherheit“ einräumt. Herr Ostermann, dann ist es zu spät! Sie stellen Ihre Ideologie offenbar über Ihre Aufgabe als Gewerkschaftler.

Bundesinnenminister Dobrindt: (zitiert nach t-online)

Bedenken aus der Polizei wegen einer unklaren rechtlichen Lage wies Dobrindt bei „Maischberger“ brüsk zurück. Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Sven Hüber, war mit der Sorge an die Öffentlichkeit gegangen, dass Polizisten bei Zurückweisungen persönlich wegen Freiheitsberaubung und Nötigung belangt werden könnten. Dobrindt bezeichnete das im Gespräch mit Maischberger als „vollkommen abwegig“ und „weit hergeholt“. „Das kann überhaupt nicht vorkommen“, bekräftigte er. Schließlich würden die Polizisten einer klaren Weisung folgen.

Heute hat Bundesjustizministerin Hubig sich mit einer deutlichen Ansage zu Wort gemeldet (auf der Homepage des BMJ), die auch auf einen Konflikt im Kabinett hindeutet:
„In einem Rechtsstaat wie Deutschland muss sich selbstverständlich auch die Regierung an Gerichtsentscheidungen halten. Deshalb ist klar: Die Eilentscheidungen des Berliner Verwaltungsgerichts müssen befolgt werden. Völlig inakzeptabel ist es, unsere unabhängige Justiz zu diffamieren und zu attackieren, wie das etwa Politiker aus dem rechtsextremen Spektrum tun.“

Schlussbemerkung: Ich behaupte nicht – und bei Fehlen eines konkreten zur Debatte stehenden Falls wäre das auch vermessen –, dass sich Bundespolizist-inn-en nun generell oder auch nur regelmäßig strafbar machen. Aber ich kann dies in der jetzigen Lage auch nicht ausschließen.

Patrick Heinemann, LTO, hatte heute dieselbe Idee. Ich bitte, ergänzend seinen sehr lesenswerten Beitrag hinzuzuziehen, der insbesondere noch mehr Details aus öffentlich-rechtlicher Sicht enthält.

8 Gedanken zu „Strafbarkeit von Bundespolizeibeamt-inn-en an der Grenze?“
  1. Für die vorstehend beschriebenen Aufhebung der Zurückweisung als Eilbeschluß war die beschließende 6. Kammer gemäß Geschäftsverteilungsplan des VG Berlin nach Sachgebietsschlüssel Ziff. 1700 (Streitigkeiten, die keiner anderen Kammer zugewiesen sind, soweit das Verfahren die Tätigkeit oder Maßnahme einer Einrichtung des Bundes betrifft) gar nicht zuständig.

    Zuständig wäre angesichts der Herkunft der Zurückgewiesenen die 28. Kammer nach Ziff. 1800 ff gewesen (Asylrecht, Herkunftsländer Somalia, Äthiopien, Eritrea).

    Da niemandem sein zuständiger Richter entzogen werden darf, fragt sich, warum der Vorsitzende der 6. Kammer seine demnach auch für derartige Eilsachen fehlende Zuständigkeit nicht zum Anlaß nahm, das Eilverfahren an die zuständige Kammer abzugeben, auch wenn seine Verlautbarungen zu der Vermutung Anlaß geben, er halte sich für ganz besonders qualifiziert, in derartigen Fällen Recht zu sprechen bzw. seiner Rechtsauffassung Ausdruck zu verleihen.

    Abzuwarten bleibt, wie sich dieser Verfahrensmangel nicht nur auf die Zurückweisungspraxis, sondern auch auf das Hauptsacheverfahren auswirken wird.

    1. Danke für Ihren Kommentar, Herr Ducrennier. Quellen für Ihre Darstellung geben Sie leider nicht an. Ich habe selbst kein eigenes Wissen über die Zuständigkeitsregeln am VG Berlin und muss daher auf das vertrauen, was von anderen mir zuverlässig erscheinenden Quellen hierzu geschrieben wurde. Hier ein Zitat von Max Holter/lto (https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/vg-berlin-6l19125-zurueckweisungen-rechtswidrig-fake-news-faktencheck), das sich direkt auf Ihren Einwand der mangelnden Zuständigkeit der 6. Kammer bezieht:
      „Das geht u.a. zurück auf mehrere Artikel der rechtspopulistischen Plattform Nius. In einem Artikel spricht etwa Ex-Bild- und heutiger Nius-Chefredakteur Julian Reichelt mit zwei Co-Autoren von einem „Geheimplan der Asyllobby gegen Dobrindts Zurückweisungen“. Die Autoren schreiben: „Über den Beschluss, der die Somalis betrifft, entschied im Verwaltungsgericht seine 6. Kammer – obwohl laut Geschäftsverteilungsplan eigentlich die 28. Kammer für jene Staatsangehörige zuständig wäre.“ In einer ursprünglichen Version fand sich dort der zusätzliche Satz, die 6. Kammer sei „nicht einmal in fünfter Vertretung für Asylgesuche aus Somalia zuständig“. Dieser wurde inzwischen – ohne entsprechenden Hinweis – gelöscht, der erste Satz steht hingegen noch. Und der ist unzutreffend. Zwar ist für asylrechtliche Angelegenheiten aus Somalia laut Geschäftsverteilungsplan (GVP) tatsächlich die 28. Kammer zuständig. Nur liegt hier keine Angelegenheit des Asylrechts vor – jedenfalls nicht im Sinne der Definition des GVP.
      Maßgeblich dafür ist, wer beklagt ist bzw. die Bundesrepublik als Beklagte vertritt. Ist dies das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), liegt eine asylrechtliche Angelegenheit vor. Im Fall des VG Berlin war Vertreterin der Beklagten aber die Bundespolizei als handelnde Behörde. Die Zuweisung zur 6. Kammer erfolgt nach einen Auffangtatbestand für „Streitigkeiten, die keiner anderen Kammer zugewiesen sind“.

    2. „… sondern auch auf das Hauptsacheverfahren auswirken wird“.

      Es wird hier kein Hauptsacheverfahren geben. Denn was sollte dann noch das Klageziel eines Hauptsacheverfahrens sein? Der Tenor der einstweiligen Anordnung lautet:

      „Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin den Grenzübertritt in den Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin zu gestatten und ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats für das Asylverfahren einzuleiten.“

      Das liest sich aber doch schon so, wie eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren und damit eine grundsätzlich unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache. Das VG hat die Vorwegnahme keinesfalls übersehen und führt dazu wie folgt aus:

      „Regelmäßig ist es dem Gericht verwehrt, im Wege der einstweiligen Anordnung in vollem Umfang zu gewähren, was Klageziel in einem Hauptsacheverfahren wäre. Begehrt ein Antragsteller die Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung, kommt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes (vgl. Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes – GG –) ausnahmsweise dann in Betracht, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und dem Antragsteller schwere und unzumutbare, durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht wiedergutzumachende Nachteile in dem Fall drohen, dass die einstweilige Anordnung nicht erlassen wird (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 31. März 2020 – OVG 2 S 18/20 – juris Rn. 3 und vom 13. April 2018 – OVG 12 S 13.18 – juris Rn. 2). Diese Maßstäbe finden im vorliegenden Fall Anwendung. Jedenfalls die Durchführung des Verfahrens nach der Dublin-III-Verordnung ist nicht als vorläufige Maßnahme denkbar (vgl. VG München, Beschluss vom 8 August 2019 – M 18 E 19.32238 – juris Rn. 21)“.

  2. This input text discusses the legal implications of border policing in Germany, particularly focusing on the potential criminal liability of Bundespolizists who carry out the directive of rejecting individuals at the border. The text emphasizes that if the officers use force or coercion against individuals attempting to cross the border, it might lead to violations of the German Criminal Code (StGB), specifically related to coercion (§ 240 StGB). The text highlights that the directive from the Interior Minister is not automatically a legal basis for the officers‘ actions, and if they use force inappropriately, they could face personal criminal liability.

    The text also mentions European law, suggesting that the norm that might justify the officers‘ actions is likely overridden by EU law, which requires at least an examination to determine which third country is responsible for the asylum seeker. Therefore, the officers might be legally liable if they use necessary violence to push people back across the border, as this could be considered a criminal act. The text concludes by referencing three decisions from the VG Berlin that have found the officers‘ actions to be unlawful, indicating potential legal consequences for their actions.

  3. Es mag sich um eine Entscheidung „nur“ eines VG handeln. Diese aber ist umfassend und überzeugend begründet. Zwar ist die Antragstellerin „trotz Überquerens der Grenze noch nicht in das Bundesgebiet eingereist (§ 13 Abs. 2 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – )“ (Seite 9), sodass eine Einreiseverweigerung durch die Bundespolizei im Grunde noch möglich war. Wie Farahat und Steurer im Verfassungsblog formulierten, ist § 18 Abs. 2 Nr. 1 AsylG aber „totes Recht“. Zum einen, weil ein sicherer Drittstaat nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 AsylG „bei der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung nur ein Staat sein kann, der nicht Mitgliedstaat der Europäischen Union ist.“ Hierbei verweist das VG auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Zum anderen „wird § 18 Abs. 2 Nr. 1 AsylG nach Überzeugung der Kammer im vorliegenden Fall durch die aufgrund ihres Anwendungsvorrangs vorgehenden unionsrechtlichen Regelungen der Dublin-III-Verordnung verdrängt, welche die Durchführung des vollständigen in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz vorsehen, bevor eine Rückführungsentscheidung getroffen werden kann“ (Seite 10). Im übrigen ist der Beschluss des VG gemäß § 80 AsylG unanfechtbar. Nicht übersehen werden sollte auch, dass alle Anträge auf Verpflichtung zur Einreisegestattung und gegen die Zurückweisung durch die Bundespolizei offenbar von dieser 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin entschieden werden.

    Beschluss des VG Berlin vom 2.06.25 – 6 L 191/25 – im Volltext:
    https://www.politico.eu/wp-content/uploads/2025/06/02/VG-6-L-191-25.pdf

  4. Ich frage mich auch, ob nicht neben der Strafbarkeit wegen Nötigung auch noch Strafbarkeit wegen Aussetzung Hilfsbedürftiger nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 StBG in Betracht kommt, wenn unbegleitete Minderjährige von der Bundespolizei zurückgewiesen werden (erst recht, wenn sie erkennbar sich in keiner guten gesundheitlichen Verfassung befinden). Nach Artikel 24 Abs. 3 der Richtlinie 2013/33/EU haben die Mitgliedsstaaten nach Eingang eines Antrags auf internationalen Schutz mit der „Suche nach Familienangehörigen des unbegleiteten Minderjährigen“ zu beginnen „und tragen gleichzeitig für sein Wohl Sorge“. Und nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 StBG macht sich strafbar, wer einen Menschen in einer hilflosen Lage im Stich lässt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist.

    1. Herr Kolos, hier bietet sich aber an, den Tatbestand vollständig zu lesen, auch was nach dem „und dadurch“ kommt. Aussetzung (ein Vorsatzdelikt!) ist ein konkretes Gefährdungsdelikt, ohne konkreten Gefahreintritt ist es straflos. Auch ich habe zunächst gedacht, es handele sich um ein Kind, aber es war wohl laut Entscheidungsbegründung eine Jugendliche (Geburtsjahr 2008), bei der die Minderjährigkeit nicht etwa offensichtlich war. Es weist praktisch nichts darauf hin, dass die Somalierin hilfsbedürftig war oder drohte in schwere Gesundheitsgefahr oder Lebensgefahr zu geraten. Das müsste (für die Strafbatrkeit der Bundespolizeibeamt-inn-en) vom Vorsatz umfasst sein. Ich halte daher § 221 StGB für nicht einschlägig.Zudem war lt Entscheidung eine ärztliche Versorgung in Polen möglich.

      1. Sehr geehrter Herr Professor Müller, wer eine weibliche somalische Jugendliche im Mai gegen 19:30 Uhr – etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang – über die Grenze und Stadtbrücke führt und dann sich selbst in dem polnischen Slubice (das nicht gerade für Toleranz gegenüber Farbigen bekannt ist) überlässt, ohne Sprachkenntnis und ohne Mittel, ohne Unterkunft in einer sehr schlechten körperlichen Verfassung und Schmerzen in den Füßen („Sie sei zum Zeitpunkt des Aufgreifens in sehr schlechter körperlicher Verfassung gewesen und habe Schmerzen in den Füßen gehabt.“ (S. 3 d.B.)), der setzt sie der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung aus. Das dürfte m.E. für den Anfangsverdacht jedenfalls reichen. Lt. Entscheidung wurde sie in Polen ärztlich versorgt und war in einem Hotel untergebracht. Ja, dafür sorgte aber eine private NGO in Polen („Eine private NGO habe ihr Nothilfe geleistet und komme für die Kosten ihrer Unterkunft auf“ (S. 3 d.B.)). Und ihr Alter (Geburtsdatum sei der 25. Juli 2008) soll die Jugendliche der Grenzpolizei genannt haben, das aber „falsch erfasst und auch auf ihren Hinweis nicht korrigiert“ wurde.

        Wie die Jugendliche auf die private NGO in Polen gestoßen ist, das ist nicht bekannt. Sollte aber die Grenzpolizei die Verbindung zuvor hergestellt haben, um sicher zu gehen, dass sie in Polen versorgt wird, dann stellt sich der Fall natürlich völlig anders dar.

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