Vor einigen Jahren hat ein Recherchenetzwerk aus öffentlich-rechtlichem Rundfunk und seriösen Printmedien einen vermeintlichen Skandal aufgedeckt. Die ehem. Leiterin des BAMF in Bremen wurde beschuldigt, bestechlich zu sein und unzählige Fehlentscheidungen zugunsten von Geflüchteten getroffen zu haben. Tatsächlich kam in einem langwierigen Prozess heraus, dass das Recherche-Netzwerk damals seiner journalistischen Verantwortung zunächst unzureichend gerecht geworden war: Es wurde einem Menschen geschadet, ohne zuvor ordentlich recherchiert zu haben. Zu dieser medial bis hin zu den einschlägigen Talkshows geführten Kampagne habe ich damals einen Blog-Beitrag geschrieben mit der Überschrift „Erst der Rufmord, dann die Recherche?“  (Der Beitrag wurde auf Übermedien zweitveröffentlicht, dahin führt der Link)

Diesmal steht der rbb im Brennpunkt eines ähnlichen Vorwurfs (Tagesspiegel, Tagesschau, NTV, Berliner Zeitung)

Der Fall knapp zusammengefasst: Der rbb hatte vor einiger Zeit über Vorwürfe gegen den Bundestagsabgeordneten Gelbhaar (Die Grünen) berichtet. Eine Behauptung des Senders: Eine Frau („Anne K.“) habe dem Sender gegenüber eidesstattlich versichert, dass der Abgeordnete sie sexuell belästigt habe.

Der betroffene Abgeordnete des Bundestags stritt alle entsprechenden Vorwürfe ab und bezeichnete sie als erfunden (Homepage Gelbhaar, Interview Business Insider). Er verzichtete in der Folge auf seinen Platz auf der Landesliste, nicht aber trotz innerparteilichen Drucks auf seine schon von der Partei mit über 98,4% bestätigte Direktkandidatur in Pankow, mit der er bei der vergangenen Bundestagswahl das Bundestagsmandat gewonnen hatte. Wegen der weiterhin nur anonym erhobenen Vorwürfe – angeblich aus verschiedenen Quellen – wurde ihm in einer neu angesetzten Abstimmung die Kandidatur für das Mandat in Pankow wieder entzogen und eine andere Kandidatin wird nun im Februar für die Grünen in Berlin-Pankow antreten.

Nun ergab sich der Verdacht, zunächst wohl aufgrund von Recherchen des Tagesspiegel, dass mindestens einer der schwerwiegenden Vorwürfe, möglicherweise aber auch alle weiteren, erfunden sind. Jedenfalls steht die Identität einer zentralen Hinweisgeberin in Zweifel, sie existiert möglicherweise gar nicht.

Der rbb gibt heute Fehler zu und hat frühere Beiträge mit Vorwürfen vom Netz genommen. Heute heißt es zur „Wende im Fall Gelbhaar“ auf rbb:

„Detaillierter berichteten wir ausschließlich über Vorwürfe, bei denen Frauen uns eigenes Erleben eidesstattlich versicherten. Das war deshalb wichtig, weil eine eidesstattliche Versicherung bedeutet, dass sich Menschen strafbar machen, wenn sie in einer solchen schriftlichen Erklärung falsche Behauptungen aufstellen.“

Hier zeigt sich das Dilemma: Die Journalist-inn-en des rbb glaubten offenbar an einen Mythos. Was Laien generell nicht wissen, Journalisten aber schon wissen müssten, zumal sie sich immer mal wieder darauf berufen: Gegenüber Medien abgegeben hat eine „eidesstattliche Versicherung“ keinerlei strafrechtliche Bedeutung. „Eidesstattliche Versicherung“ klingt zwar gut, aber es begründet bzw. erhöht keineswegs die Strafbarkeit von Falschbehauptungen und deshalb erhöht es auch nicht deren Glaubhaftigkeit. Eine falsche e.V. kann nämlich als solche nur dann bestraft werden (und hat deshalb dann auch Gewicht für die Glaubhaftigkeit), wenn sie gegenüber einer zuständigen Behörde in einem Verfahren abgegeben wird, das eine e.V. zur Glaubhaftmachung vorsieht. Erst in einem Verfahren im Presserecht kann eine solche e.V. von Bedeutung sein, wenn etwa gegen die Berichterstattung eine einstw. Verfügung beantragt wird und die e.V. dort dann zur Glaubhaftmachung vor Gericht abgegeben wird (siehe dazu noch meinen Kommentar unter diesem Beitrag). Die Rundfunkanstalten sind selbst aber keine zuständigen Stellen, schon gar nicht sind es einzelne Journalist-inn-en. Der Mythos der „eidesstattlichen Versicherung“ als magisches Beweismittel für die Medien beruht darauf, dass man einen sonst nur anonymen mündlichen Hinweis nun schriftlich namentlich bestätigt bekommt und evtl. später in einer presserechtlichen Auseinandersetzung dem Gericht vorlegen kann. Einer, wie gesagt, strafrechtlich als Eidesstattliche Versicherung irrelevanten schriftlichen Erklärung dürfen Journalist-inn-en nur deshalb mehr Glauben schenken als einem anonymen mündlichen Hinweis, weil und wenn die Identität der Quelle nachprüfbar ist. Das verlegt die journalistische Sorgfaltspflicht auf die Ermittlung eben dieser Identität und zwar VOR der Veröffentlichung.

„Doch an der Identität einer der Frauen, Anne K., kamen jetzt Zweifel auf – nachdem diese seit einigen Tagen für den rbb nicht mehr zu erreichen war. Mittlerweile steht fest: Anne K. war nicht diejenige, für die sie sich ausgab. Mit hoher Wahrscheinlichkeit existiert diese Frau gar nicht.“

Wenn nun herauskommt, dass die (angebliche) Betroffene, die die Vorwürfe erhoben und gegenüber den rbb schriftlich versichert hat, möglicherweise gar nicht diejenige ist, die namentlich die Erklärung abgegeben hat, dann stellen sich Fragen an den rbb: Haben sich die Journalist-inn-en vor der Veröffentlichung von der Identität der Hinweisgeberin überzeugt? Haben sie sich bei Anwesenheit der Person einen (ggf. gefälschten) Personalausweis von ihr zeigen lassen? Offenbar nicht, denn in dem heutigen Bericht steht nur das:

Weitere Recherchen führten zu einer grünen Bezirkspolitikerin, bei der für uns zweifelsfrei feststeht, dass sie sich in Gesprächen dem rbb gegenüber als Anne K. ausgegeben hat und unter diesem Namen auch eine eidesstattliche Versicherung abgab. Die Person bestreitet dies dem rbb gegenüber. Sie beteuert, lediglich den Kontakt zu Anne K. hergestellt zu haben. Allerdings konnte sie keine Belege erbringen, die zeigen könnten, dass eine Anne K. überhaupt existiert.“

[Aktualisierung am Abend des 18.01.25: Nach einem Bericht des Tagesspiegel vom späten Abend des 18.01. haben die Journalist-inn-en keinen direkten, sondern nur telefonischen Kontakt mit der Person („Anne K.“) gehabt, deren (angebliche) schriftliche Erklärung („eidesstattliche Versicherung“) sie später von einer Grünen-Politikerin erhielten. Die betreffende Politikerin aus dem Bezirk Berlin-Mitte ist heute von ihren Ämtern zurückgetreten und aus der Partei ausgetreten. Auszug aus dem Bericht: Eine „Anne K.“ hatte dem RBB zwar eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt, doch der Sender hatte diese offenbar nicht ausreichend geprüft. Pikant: Das Justiziariat des RBB hatte alle Berichte zu den Vorwürfen abgesegnet.]

Es  wurde offenbar also damals weder die Identität der Zeugin, noch die der vorgeblich an Eides statt versichernden Person und noch nicht einmal die angegebene Wohnadresse überprüft? Und die Jurist-inn-en des rbb haben das angeblich „abgesegnet“? Man hat sich hier in einer Angelegenheit von privater und politischer Brisanz hinters Licht führen lassen. Das ist nicht nur peinlich und möglicherweise sogar (als Üble Nachrede gem. § 186 StGB) strafbar, sondern hat auch realen Schaden angerichtet:

Opfer der unsorgfältigen rbb-Recherche ist an erster Stelle der Bundestagsabgeordnete Gelbhaar, dessen politische Karriere mit einer Vollbremsung stoppte, knapp vor einer Wahl, bei der er mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder in den Bundestag gewählt worden wäre. Ob man den Fehler in Pankow wieder gut machen kann, indem man ihn nun doch aufstellt, erscheint fraglich.

Aber es gibt weitere Opfer:

Für Hinweisgeber-innen wird es künftig noch schwieriger, ihrem wichtigen Anliegen – und dazu gehören alle Formen sexueller Belästigungen oder sexualisierter Gewalt in Firmen, Organisationen oder Partnerschaften — Gehör zu verschaffen.

Das Vertrauen in die Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird durch solche Recherche-Fehler gefährdet.

Das Vertrauen in die interne Parteikultur der Grünen ist geschädigt, sogar über eine Parteiintrige von oben wurde seitens der Berliner Zeitung spekuliert.

Aus der FAZ:

Die Spitze der Bundespartei hat inzwischen auf die Entwicklung reagiert. Die Vorsitzenden Franziska Brantner und Felix Banaszak sagte der „Welt am Sonntag“, der Verdacht sei „gravierend“. Weiter heißt es: „Wer in einem solchen Verfahren falsche Aussagen an Eides statt tätigt, begeht im Zweifelsfall nicht nur eine Straftat, sondern fügt der gemeldeten Person, der Partei, aber auch den auf Vertrauen aufbauenden Strukturen und den anderen meldenden Personen erheblichen Schaden zu.“ Die Grünenspitze kündigte an, ein Parteiausschlussverfahren anzustrengen, „sobald die Person, gegen die sich dieser schwere Verdacht richtet, uns namentlich bekannt wird und der schwerwiegende Verdacht nicht unverzüglich ausgeräumt wird“

Inzwischen hat sich die rbb-Redaktion beim Tagesspiegel gemeldet. Hier der Auszug:

„Auf Tagesspiegel-Anfrage sagte RBB-Chefredakteur David Biesinger: „Uns ist als RBB in der Recherche ein Fehler unterlaufen. Journalistische Standards sind nicht vollumfänglich eingehalten worden. Die hinter der eidesstattlichen Versicherung liegende Identität ist von der Redaktion nicht ausreichend überprüft worden.“ Zum Fehler beigetragen hätten aber betrügerische Absicht und kriminelle Energie, mit der unter großem Aufwand eine falsche Identität vorgespiegelt worden sei. Ein Sprecher sagte, der Fall sei nicht abgeschlossen. Der Ablauf werde nun analysiert, um „notwendige Ableitungen der Nichteinhaltung journalistischer Standards für die Zukunft daraus zu ziehen“. Hier die Stellungnahme des rbb auf der Homepage.

Immerhin wird nicht mehr abgestritten, dass Fehler gemacht wurden, sondern eingeräumt. Welche Folgen die Angelegenheit für den rbb hat, bleibt abzuwarten.

Ergänzung (24.01.2025): Nach dem mit Belegen versehenen Kommentar von Waldemar Kolos (s.u.) ist der rbb mit seiner gesamten Verdachtsberichterstattung nun vor dem LG Hamburg gescheitert. Dabei geht es auch um zwei weitere eidesstattlich versicherte Vorfälle, deren Inhalte dem Gericht allerdings als zu wenig konkret erschienen, um eine Berichterstattung unter Namensnennung des Betroffenen zu legitimieren.

Ergänzung (26.01.2025): Der rbb hat am Freiztag einen Bericht veröffentlicht, darin die Fehler der Recherche offen gelegt und Gelbhaar um Entschuldigung gebeten. Auszug:

Im Laufe der Recherche bestand Kontakt zu dieser Person ausschließlich telefonisch und schriftlich, nicht jedoch von Angesicht zu Angesicht. Die Bitte um ein Treffen wurde dem Rechercheteam vorerst unter verschiedenen Vorwänden versagt, die Zusendung einer Personalausweiskopie zwar zugesichert, diese Zusicherung jedoch nicht erfüllt. Neben ausführlichen Telefonaten lag zudem Fürsprache durch Dritte vor, die dem Autorenteam lange bekannt sind. Später hat sich herausgestellt, dass auch diese die Person nicht von Angesicht zu Angesicht kannten. Ein persönliches Treffen hätte in diesem Fall zwingend stattfinden müssen. Der zentrale und schwerwiegende Fehler in der Recherche ist das Fehlen dieser persönlichen Überprüfung und damit verbunden der Überprüfung der Glaubwürdigkeit dieser Zeugin. Eine Veröffentlichung hätte unter diesen Umständen und auf diese Weise nicht geschehen dürfen.

Ein zweiter Fehler betrifft die Berichterstattung in der rbb24 Abendschau vom 31. Dezember 2024. In dieser wurde eine „nachgestellte Szene“ gezeigt, die den Austausch des Rechercheteams mit einer der nach eigenen Angaben betroffenen Frauen zeigen soll. In der Szene war ein Gespräch zwischen zwei Personen zu erkennen, die sich im selben Raum befinden. Diese Bilder in Verbindung mit der Angabe „nachgestellte Szene“ insinuieren, dass ein solches Gespräch in ähnlicher Weise stattgefunden hat. Diese Darstellungsform ist nicht legitim, denn wie ausgeführt, hat ein solches Treffen nicht stattgefunden.“ (…)

Nun wird auf Wunsch der Intendantin eine von den fehlerhaften Recherchen unabhängige, extern besetzte Kommission betraut. Zur weiteren Detailaufklärung beauftragt rbb-Chefredakteur David Biesinger jetzt eine externe Untersuchung. Experten werden analysieren, ob es noch weitere Fehler gegeben hat und welche Konsequenzen aus dem Vorfall zu ziehen sind. „Um den Anschein von Interessenkonflikten zu vermeiden, übergebe ich die weitere Aufklärung in unabhängige Hände. So ist ein neutraler Blick gewährleistet, losgelöst von internen Strukturen und Zuständigkeiten“, so der Chefredakteur.“

Am 19.01.25, 22 Uhr, ergänzter Kommentar: Mittlerweile halte ich das Verhalten der internen Ombudsstelle der Grünen für fast genauso skandalös wie das des rbb. Seit mehreren Tagen ist klar, dass Vorwürfe gegen Gelbhaar offenbar wenig Substanz haben. Weder die gebotene Fairness gegenüber dem anonym Beschuldigten noch gegenüber der Öffentlichkeit noch gegenüber der eigenen Partei wird bislang gewahrt. Offenbar lassen sie jetzt einfach den Sturm, den eine solche Ombudsstelle verhindern soll, über sich und die Situation herabprasseln und reagieren einfach gar nicht mehr. Meines Erachtens: Diese Ombudsstelle hat dem Missbrauch mit Falschbeschuldigungen Tür und Tor geöffnet und alles noch schlimmer gemacht. Sie sollte so schnell wie möglich geschlossen werden, wenn der Sturm vorbei ist.

Heute (20.01.25, 19 Uhr) ergänzter Kommentar: Laut ntv-Bericht bleiben sieben Personen bei ihren (nach wie vor nicht öffentlich konkretisierten) Vorwürfen gegen Gelbhaar. Zur Schwere der Vorwürfe wurden bislang keine Angaben gemacht. Am ehesten handelt es sich wohl um Vorwürfe der sexuellen Belästigung (§ 184i StGB) oder solche unterhalb einer strafrechtlichen Relevanz. Soweit bekannt ist gegen Gelbhaar bisher kein Strafverfahren eingeleitet worden. Die von Gelbhaar bestrittenen Vorwürfe sind aber trotzdem offenbar so heikel, dass die grüne Parteispitze nunmehr der (oben auch von mir kritisierten) Ombudsstelle das Verfahren entzogen und eine neue Kommission mit der Aufklärung beauftragt hat. Auszug aus dem Bericht der SZ: „Das gesamte Verfahren inklusive der „meldenden Personen, die das Ombudsverfahren als vertraulichen Raum angesehen haben“, sei beschädigt. Daher habe die Bundesgeschäftsstelle entschieden, ein neues Verfahren einzuleiten, so Banaszak. Es sei nicht mehr möglich, im laufenden Ombudsverfahren die Interessen aller Beteiligten zu wahren. Eine Kommission unter Führung der Grünen-Politiker Anne Lütkes und Jerzy Montag solle die Vorwürfe nun aufklären, sagte Brantner.“

Es ist zu hoffen, dass diese Kommission wenigstens die Mindestrechte von Beschuldigten wahren wird und nicht Parteipolitik auf Grundlage von anonym bleibenden Vorwürfen betreibt.

Hier ein treffender Kommentar in der taz, der auch die Strukturen bei den Grünen aufs Korn nimmt, die das „Desaster“ verursacht haben. Vielleicht hat ja ein normaler Strafprozess doch seine Vorteile gegenüber einem missbrauchsanfälligen annonymen Vorwurfsportal.

P.S.: Auf Nachfrage von Leser-inne-n des Beitrags:
Welche Delikte wurden hier von der Person, die gegenüber dem rbb eine Falschbehauptung in Form einer „eidesstattlichen Versicherung“ aufgestellt hat, möglicherweise begangen?

Ich weiß nicht, wie die Strafanzeige des rbb oder die der Grünen lautet, aber hier meine Gedanken zu möglichen verletzten Straftatbeständen:

§ 156 StGB Falsche Versicherung am Eides Statt?
Wie oben im Text schon geschrieben: Eine solche Tat liegt nicht vor, der rbb ist keine zuständige Stelle und Presseberichterstattung ist auch kein Verfahren, in dem die e.V. gesetzlich vorgesehen ist. Einem Gericht wurde diese e.V. auch nicht vorgelegt.

Ergänzung (24.01.2025): Nach neueren Berichten wurde die e.V. tatsächlich – in Kopie – einem Gericht vorgelegt; insofern könnte der Vorwurf doch erhoben werden, wenn dies mit dem Willen der Person geschah, die die e.V. errichtet hat.

§ 263 StGB Betrug?
„Betrug“ wird im rbb-Artikel mehrfach genannt und es mag auch sein, dass sich die Journalist-inn-en betrogen vorkommen, aber Betrug ist ein Vermögensdelikt und setzt Bereicherungsabsicht des Täters/der Täterin voraus. Betrug kommt daher nicht in Betracht.

§§ 187, 188 StGB Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens?
Dies kommt wohl am ehesten in Betracht und zwar hinsichtlich der Tatsachenbehauptung, eine andere Frau habe einen solchen schweren Vorwurf nicht nur behauptet, sondern sogar schriftlich gegenüber der Presse versichert. Wenn sich nun herausstellt, dass es diese andere Frau nicht gibt, könnte dies eine Verleumdung durch diejenige Person darstellen, mit der der rbb in Kontakt stand. Wegen des (mögl.) Verstoßes gegen § 188 wäre nicht einmal ein Strafantrag des Betroffenen notwendig, vgl. § 194 Abs.1 S. 3 StGB. Laut eigenen Angaben auf seiner Homepage hat Gelbhaar aber bereits Strafanzeige wegen Verleumdung (gegen Unbekannt) erstattet.

§ 267 StGB Urkundenfälschung?
Hat die Betreffende eine mit falschem Namen versehene schriftl. Versicherung im analogen Original (!), nicht nur als Kopie, vorgelegt, in der Absicht vorzutäuschen eine andere Person habe den Vorwurf gegen Gelbhaar erhoben, könnte dies auch eine Urkundenfälschung sein, in (zumindest) der Variante des Gebrauchens. War es so, dass sie sich selbst auf der Urkunde nur einen anderen Namen gegeben hat, dann läge möglicherweise nur eine Namenstäuschung vor. Hier war die Darstellung des rbb bisher nicht eindeutig.

Ergänzung (24.01.2025): Nach einem Bericht der ZEIT (zitiert nach LTO) hat der rbb nur über die Kopie eines mit „Eidesstattlicher Versicherung“ überschriebenen Dokuments verfügt. Da Kopien, die nur „als Kopien“ in den Rechtsverkehr eingebracht werden sollen bzw. können, nicht den strafrechtlichen Urkundenbegriff erfüllen, ist dieser Tatbestand nicht erfüllt.

§ 164 StGB Falsche Verdächtigung?

Dieser Vorwurf scheint auf den ersten Blick am ehesten zuzustreffen. Die Strafbarkeit setzt aber voraus, dass Täter oder Täterin in der Absicht handeln, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen den Verdächtigten herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. Hier ging es aber um ein parteiinternes Verfahren, das beeinflusst werden sollte; daneben ging es um eien Verdächtigung in den Medien. Dass die mutmaßliche Täterin ein Strafverfahren herbeiführen wollte, liegt eher fern, denn dann wäre ihre gefälschte Behauptung noch schneller aufgefallen.

Aktualisierungshinweis: Der ursprüngliche Beitrag vom 18.1. wurde und wird sprachlich korrigiert und nach der Nachrichtenlage ergänzt, zuletzt am 20.01.,19:30 Uhr. Danke auch für Hinweise auf Bluesky (@ermu.bsky.social).

12 Gedanken zu „„Erst der Rufmord, dann die Recherche?“ – rbb lässt sich vom Mythos „eidesstattliche Versicherung“ hinters Licht führen“
  1. Da die Diskussion zu diesem Beitrag hauptsächlich auf der Plattform bluesky geführt wird, möchte ich hiesigen Lesern und Leserinnen kritische Sichtweisen (und ggf meine Antworten) nicht vorenthalten.
    Ein auch im Medienrecht tätiger Rechtsanwalt tritt meiner Darstellung, eine e.V. habe keinerlei strafrechtliche Bedeutung und sei ein Mythos entgegen, „jedenfalls wenn sie richtig gestaltet ist“. Sie diene dem Zweck in einem presserechtlichen einstweiligen Verfügungsverfahren dem Gericht vorgelegt zu werden. Der Unterzeichner müsse dann mit Strafbarkeit rechnen, wenn „dies ausdrücklich erwähnt wird“. Medien sollten deshalb auch auf das Versicherte vertrauen können. Es sei bei „Profis“ selbstverständlich, dass bei e.V. die Versichernden entsprechend aufgeklärt bzw. belehrt würden.
    Ein anderer juristischer Bluesky-Kommentar bestätigt, es komme tatsächlich nicht selten vor, dass in einem Presseverfahren e.V. „vorgelegt und dann nach § 294 ZPO gewürdigt werden“.
    Ich stimme den Kommentaren grundsätzlich zu, dass e.V. in der Investigativrecherche doch eine berechtigte Bedeutung haben können und auch den Trumpf der strafrechtlichen Erheblichkeit dann mittelbar ausspielen können. Dies habe ich in meinem Beitrag zu sehr ins Abstrakte bzw. Potentielle geschoben. Allerdings scheint in der Recherche des rbb meine Auffassung, die Beteiligten seien einem „Mythos“ aufgesessen, doch eine gewisse Berechtigung zu haben.

  2. Mein Wissen im Presserecht ist bestenfalls rudimentär. Es reicht aber dafür, dass an die Verdachtsberichterstattung strenge Zulässigkeitsvoraussetzungen geknüpft sind. Häufig handelt es sich dabei um Berichterstattung zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren oder einem gerichtlichen Hauptverfahren. Die Pressefreiheit ist darauf zwar nicht beschränkt. Wenn aber über Straftaten berichtet wird, die weder angezeigt, noch von den zuständigen Behörden ermittelt werden, dann dürfte das Persönlichkeitsrecht die Pressefreiheit soweit überwiegen, dass sich die Namensnennung von allein verbietet. Auch an den Inhalt der eidesstattlichen Versicherung (eV) des vermeintlichen Opfers dürfte eine erhöhte Substanz gefordert sein. Bloße Beschränkung auf generell abstrakte Begriffe des Gesetzes, wie z.B. dass der Verdächtige das Opfer sexuell belästigt habe, können konkret kaum nachvollzogen werden und damit kaum eine geeignete Basis für Verdachtsberichterstattung sein. Wie in einer Strafanzeige ist auch in einer solchen eV die Schilderung eines konkreten Lebenssachverhalts zu verlangen. Der substanzlose Vorwurf der sexuellen Belästigung ist aber gut dafür geeignet, grenzenlose Phantasien in der Öffentlichkeit zu wecken. In Verbindung mit der Namensnennung einer Person des öffentlichen Lebens hat das wenig mit seriöser Pressearbeit und Ausübung der Pressefreiheit, als vielmehr mit schmutziger Sensationslust zu tun.

    Der Sender rbb scheint mit den Anforderungen an den Inhalt der eV nicht so streng zu sein. Zwar hat der Sender Mängel wegen fehlender Identität der Frau „Anne K.“ eingeräumt. Gleichwohl hielt er weiter daran fest, wegen weiterer eVs anderer Frauen, den Bundestagsabgeordneten Gelbhaar öffentlich dem Vorwurf und Verdacht auszusetzen, Gelbhaar habe „systematisch Frauen innerhalb der Partei belästigt“, indem er (I) eine Frau auf und / oder am Rande einer Veranstaltung gegen ihren Willen festgehalten und geküsst, (II) eine Frau nach einer Parteiveranstaltung gegen ihren Willen unsittlich berührt habe. In dem Verfügungsverfahren vor dem Landgericht Hamburg (Beschl. v. 20.01.2025, Az. 324 O 2/25) hat der rbb zu I und II inzwischen strafbewehrte Unterlassungserklärungen abgegeben. Vor dem LG Hamburg ging es dann schließlich um die Schilderungen einer weiteren Frau, die Gelbhaar vor Jahren am Arm gestreichelt, am unteren Rücken angefasst und eingeladen haben soll, mit ihm alleine in eine Wohnung zu gehen ( Luisa Berger in LTO, RBB darf Vorwürfe im Fall Gelbhaar nicht verbreiten).

    Der Unterlassungsantrag Gelbhaars hatte Erfolg. Die Entscheidung liegt LTO (s.o.) vor: Für ein systematisches Vorgehen Gelbhaars fehle es an hinreichenden Anhaltspunkten. Die Vorwürfe der Frau allein würden keine ausreichende Grundlage für die Verdachtsberichterstattung, wie der RBB sie veröffentlicht hatte, darstellen, heißt es in dem Beschluss. Und auch weitere vom RBB vorgelegte eidesstattlichen Versicherungen anderer Frauen könnten den Vorwurf des systematischen Vorgehens „mit Blick auf die völlig inhaltsleeren Darlegungen“ nicht tragen. In den Versicherungen war von „unangenehmen Erfahrungen“ mit Gelbhaar die Rede, die aber nicht weiter konkretisiert wurden. (https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/324-o-2-25-lg-hamburg-rbb-belaestigungsvorwuerfe-stefan-gelbhaar-berichterstattung-untersagt)

  3. Das Thema „Strafbarkeitsrisiko wegen falscher e.V.“ möchte ich auch aus richterlicher Sicht noch einmal kurz beleuchten. Klar, sie ist nur strafbewehrt bei Vorlage bei Gericht oder Behörde, wozu ein Rundfunksender nicht gehört. Das aber macht die Vorlage beim Sender nicht risikofrei. Der Sender wird die e.V. nämlich, wenn er – was nahe liegt – vom Beschuldigten nach der Berichterstattung per einstweiligem Verfügungsverfahren vor Gericht gezerrt wird, dort zu Verteidigungszwecken vorlegen. Und in dem Moment ist die – falsche – e.V. „scharf gestellt“, das heißt strafbar. Lege artis handelnd hat der Sender die Beschuldigende nämlich über dieses Szenario belehrt und sie das idealerweise in die e.V. als Eingangssatz aufnehmen lassen: „Belehrt über die Strafbarkeit einer falschen e.V. und zwecks Vorlage an ein Gericht versichere ich das Folgende an Eides Statt: …“ Dies natürlich im persönlichen Gespräch face to face mit Personalienfeststellung (insoweit: „Shame on rbb!“). Dann landet die unterschriebene e.V. in der Schublade des Senders und wird – ohne die Beschuldigende auch nur zu fragen – wieder herausgeholt und ans Gericht geschickt, sobald ein einstweiliges Verfügungsverfahren läuft oder bevorsteht (Schutzschrift nach Abmahnung). Und wenn sie sich dann als falsch erweist, schickt das Gericht sie weiter an die Staatsanwaltschaft.

    1. Vielen Dank für Ihren Kommentar, Herr Schmidt.
      Wie schon im ersten Kommentar eingeräumt, war mein kritischer Blick auf die e.V. im Rahmen der Verdachtsberichterstattung etwas zu pauschal und traf eher auf den vorliegenden Fall zu als auf eine – sicherlich vorkommende – korrekte Vorgehensweise der Journalisten, wie Sie sie beschreiben.
      Angeregt vom vorliegenden Fall würde mich (und die Öffentlichkeit) zusätzlich interessieren, ob Gerichte oder andere zuständige Stellen bei der Vorlage von e.V. (in Kopie oder digitaler Form) irgendwelche Fragen nach der Identität der (angeblich) versichernden Person stellen, oder ob e.V. in der Praxis so akzeptiert werden, wie sie vom Presseorgan bzw. deren anwaltlicher Vertretung vorgelegt werden.

      1. Man könnte auch fragen, ob die Angabe des Namens nicht schon mit zum Versicherungsinhalt zählt, dh. seine Richtigkeit eidesstattlich versichert wird, sodass bei falscher Angabe des Namens die eidesstattliche Versicherung falsch ist. Ich frage mich auch, ob der Sender sich nicht auch wegen Beihilfe strafbar macht, wenn er im Gerichtsverfahren eine falsche eidesstattliche Versicherung vorlegt, z.B. weil er die Identität nicht überprüft hat.

        1. Ja, auch die Angabe des Namens zählt zum Versicherungsinhalt, wie auch die Personalien bei der falschen uneidlichen Aussage. Aber es gibt natürlich die interessante Frage, wer denn die Versicherung vor dem Gericht abgegeben hat, wenn die Person fiktiv war und der rbb ohnehin nur eine Kopie hatte. Auch ob die Frau, die die angebliche Erklärung einer dritten Person dem rbb gegeben hat, überhaupt wollte, dass diese dem Gericht vorgelegt wird, denn § 156 StGB setzt eine Abgabe mit Willen voraus.

      2. In Konstellationen wie der hiesigen wird im Eilverfahren die „kritische“ e.V. ja von der Passivseite (dem auf Unterlassung/Widerruf in Anspruch genommenen Presseorgan) vorgelegt, sodass abzuwarten ist, wie sich die hierzu anzuhörende Angreiferseite (der eines Übergriffs Bezichtigte) nun dazu verhält. Sagt er z.B. „Eine Anne K. kenne ich gar nicht, gibt es die überhaupt?“, dann sollten natürlich beim Gericht (hier: Pressekammer) die Alarmglocken läuten und es wäre bei der Passivseite (Presseorgan) nachzufragen, wie es zu der e.V. gekommen ist. Bestreitet demgegenüber die Angreiferseite die Existenz und ihre Bekanntheit mit dieser Person nicht und auch i.Ü. nicht die Echtheit der e.V. (sondern nur deren sachlichen Inhalt), hat das Zivilegericht natürlich – wie wir alle wissen – ebenfalls von der Echtheit/Authentizität auszugehen (Beibringungsgrundsatz).

        1. Meine Frage an Sie wäre, ob Gerichte im Freibeweis e.V. nur im Original annehmen, oder ob auch diese Frage zur Disposition der Parteien steht. Meiens Erachtens dürfte doch eine e.V. als solche zur Glaubhaftmachung nur dann genügen, wenn es auch tatsächlich im Original (nicht nur als Kopie oder Datei) vorgelegt wird oder zumindest die Kopie plus anwaltliche Versicherung, das Original liege vor. Da die Glaubhaftigkeit ja von der Strafbarkeit abhängt, sind die beiden Fragen ja auch verbunden.-

  4. Das mit der fiktiven Person (s.o. HEMueller, 26. Januar 2025 um 20:21 Uhr) verstehe ich nicht ganz (- vermutlich fehlen mir einige Details zu Umständen und Inhalt). Laut tagesschau sagte der rbb: „Mit hoher Wahrscheinlichkeit existiert diese Frau gar nicht.“ Diesen Satz deute ich aber so, dass sie unter dem angegebenen Namen nicht existiere. Denn es muss doch eine real existierende Frau geben, die hinter der Erklärung in der eV steht, wenn auch unter einem falschen Namen. Dann wäre sie als Person aber nicht fiktiv, sondern bloß ihr Name. Es sei denn, die eV ist von einer KI abgegeben worden. Dann wird es schwierig. Ansonsten wäre m.E. die unbekannte Frau diejenige, die die (falsche) Versicherung vor Gericht abgegeben hätte, wäre es zu einem Gerichtsverfahren gekommen, in dem der Sender ihre eV zur Glaubhaftmachung vorgelegt hätte.

    Die übliche Belehrung über die Strafbarkeit einer falschen eV und deren schriftliche Bestätigung – wie schon von Herrn Schmidt oben im Wortlaut vorgeschlagen, sowie die tatsächliche Vorlage im Gerichtsverfahren sind ja Voraussetzung für die Strafbarkeit. Nach der erfolgten Belehrung kann dann auf den Abgabewillen (§ 156 StGB) geschlossen werden. Wobei ich denke, dass eine Belehrung nicht zwingend persönlich erfolgen müsste. Belehren könnte man auch schriftlich, im Vorspann der eV, wenn auch nicht gänzlich ohne Risiko (bzgl. Identitätsprüfung).

    Wenn aber der Sender nicht belehrt haben sollte und die eV keine schriftliche Bestätigung darüber enthält, dann bestehen auch berechtigte Zweifel schon an dem Abgabewillen. Die eV ist dann nichts wert (zweifelhaft, ob es sich dann überhaupt um eine eV handelt). Darüber hinaus ist sie noch falsch (fehlende Identität). Dann dürfte sich die Frage anschließen, ob nicht der Sender sich strafbar gemachte haben könnte (§§ 187, 188 StGB), wenn er auf der Grundlage einer wertlosen und dazu noch falschen und mit Zweifel behafteten eV öffentlich berichtet und damit Persönlichkeitsrechte einer Person des politischen Lebens mit erheblichen Folgen verletzt. Strafbefreiender Rücktritt ist nicht möglich. Daher ändert die Löschung an der Strafbarkeit nichts.

    1. Sie haben Recht, meine Frage mit der „fiktiven Person“ war nicht so gemeint, dass es gar keine Beschuldigte geben könnte, sondern, dass fraglich ist, gegen wen man wegen § 156 StGB ermittelt. Es wären also Ermittlungen gegen Unbekannt bzw. gegen die (angebliche) Übermittlerin (die zurückgetretene Bezirkspolitikerin) als Haupttäterin oder Teilnehmerin. Ein weiteres Problem: Zwar genügen wohl (?) im Freibeweisverfahren vor dem Gericht auch Kopien und elektronisch übermittelte Scans, aber die Strafbarkeit nach § 156 StGB begründen neben mündlich abgegebenen nur im Original als Schriftstück eingereichte Erklärungen. Ob mit Einführung der beA sich daran etwas geändert hat, wird gerade debattiert. Gerade der vorliegende Fall wäre übrigens ein gutes Argument, da streng zu bleiben und e.V. auch für das Ziel der Glaubhaftmachung nicht den Manipulationen auszusetzen, die von der EDV erleichtert werden. Wenn aber der rbb nur eine Kopie hatte und diese (über den Anwalt) hat – wahrscheinlich elektronisch – dem Gericht vorlegen lassen, wäre die Abgabe iSd § 156 StGB nicht erfolgt und eine diesbezügliche Strafbarkeit ohnehin ausgeschlossen, ohne dass man sich über die Identität der Person Gedanken machen müsste.

      1. Vielen Dank, Herr Professor Müller, für Ihre schöne Aufklärung über die Bedeutung des Originals für die Strafbarkeit nach § 156 StGB und eine mögliche Auswirkung auf die Anforderungen der Zulassung im Freibeweisverfahren, für die es überzeugende Argumente gibt. Das habe ich nicht gewusst und bin allein – trotz Ihrer Andeutung – nicht darauf gekommen.

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