Der Zeichner und Druckkünstler Guido Kühn hat sich einen Namen gemacht mit zeitkritischen Werken.
Er zeigt und verbreitet Abbildungen derselben u.a. auf Bluesky . Bestandteil seiner Karikaturen sind manchmal Hakenkreuze. Meist ist dabei auf den ersten Blick erkennbar, dass Kühn mit seinen Karikaturen eine gegen den Nationalsozialismus gerichtete Haltung einnimmt. Spätestens aus einem jeweils beigefügten kurzen Text ist dies eindeutig erkennbar.
§ 86a StGB verbietet grundsätzlich die öffentliche Verwendung und Verbreitung des Hakenkreuzes (wie auch den Hitlergruß und Parolen des Naziregimes) und zwar unabhängig von einer damit verbundenen rechten oder rechtsextremen Gesinnung. Auch wer nur scherzhaft oder ohne Nachdenken die Parolen oder Kennzeichen des Naziregimes öffentlich zeigt bzw. ruft, kann sich strafbar machen. Hintergrund dafür ist, dass der Gesetzgeber nach h.M. durch das Verbot der Verwendung dieser Kennzeichen auch eine Gewöhnung oder Normalisierung derselben in der Öffentlichkeit verhindern wollte. Die Kennzeichen sollen in der Bundesrepublik Deutschland im Alltag tabuisiert sein.
Allerdings wird in § 86a auf § 86 Abs.4 verwiesen. Dort sind Ausnahmen für „staatsbürgerliche Aufklärung, die Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken“ formuliert, die zum Tatbestandsausschluss führen.
Zudem wird ein weiterer Tatbestandsausschluss aus Art.5 GG hergeleitet. Die Verwendung des Kennzeichens in einer Meinungsäußerung ist dann nicht strafbar, wenn zugleich in eindeutiger Weise eine Ablehnung des nationalsozialistischen Regimes deutlich wird. Die dazu ergangene Leit-Entscheidung des BGH betraf 2007 einen Versandhändler, der u.a. Sticker und T-Shirts verbreitete, auf denen das Hakenkreuz durchgestrichen war oder in einen Mülleimer geworfen wurde. BGH 3 StR 486/06 (NJW 2007, 1602): Verwendung von NS-Kennzeichen ist immer dann zulässig, „wenn die Darstellung eindeutig die Bekämpfung der NS-Ideologie zum Ausdruck bringt“.
Die Verbreitung eines Werks von Kühn wurde nun Gegenstand eines Strafverfahrens, von dem der Künstler selbst berichtet. Jemand hatte das Werk Kühns in social media verbreitet. Da erst der beigefügte Text es „eindeutig“ zu einem den NS ablehnenden Verwenden machte, wurde der oben genannte Tatbestandsausschluss bei eindeutiger Ablehnung des NS-Regimes von Staatsanwaltschaft und Gericht offenbar nicht aktiviert.
Dass das Werk von Kühn allerdings als Kunst den Tatbestandausschluss von § 86 Abs.4 StGB genießt, wurde nicht bestritten: Der Künstler selbst wurde nicht als Beschuldigter, sondern als Zeuge geladen. Die nun zu entscheidende Frage war, ob sich derjenige, der ein das Hakenkreuz beinhaltende Kunstwerk weiterverbreitet, auf die Ausnahme des § 86 Abs.4 berufen kann. Das Gericht entschied laut Herrn Kühn wohl so: Das Werk selbst und dessen Verwendung durch den Künstler werde von § 86 Abs.4 gedeckt, nicht aber die Verbreitung durch einen Nicht-Künstler.
„Ich war heute als Zeuge in Sachsen vor Gericht, weil jemand einen Cartoon von mir teilte. Fazit: Das Anfertigen antifaschistischer Illustrationen fällt unter die Kunst-Freiheit, das Teilen nicht. Teilt also einfach keine Zeichnungen von mir. „
Ein Urteil erfolgte nicht, das Verfahren wurde offenbar nach § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt.
Die Verfahrensweise und ihre Begründung fordert zur Kritik heraus: Da die Kunst von Kühn, aber auch die vieler anderer Künstler, auf den Verbreitungsweg Social Media angewiesen ist, wo aber eben das Weiterleiten durch andere (Nicht-Künstler) gerade üblich ist, wird man im Rahmen des § 86 Abs.4 StGB zwischen Verbreitern und Kunstschaffenden keinen Unterschied machen können, denn dann müsste dasselbe gelten etwa bei Theateraufführungen (was ist mit den Kartenverkäufern?) oder bildender Kunst (was ist mit den Galeristinnen?). Die Kunstfreiheit erfasst aber auch den „Wirkbereich, also die Darbietung und Verbreitung des Werkes sowie die darauf gerichtete Werbung“ (Anstötz MüKo § 90 StGB Rn. 18; ständige Rechtsprechung des BVerfG, siehe BVerfGE 30, 173 (189); BVerfGE 77, 240 (251). Allerdings ist die (massenhafte) Verbreitung durch Social Media in diesen Entscheidungen der 1970er und 1980er Jahre noch unberücksichtigt geblieben. Tatsächlich wird heutzutage ein Kunstwerk häufig erst durch das Internet bekannt und ein Künstler kann so seine Werke auch ohne filternde Institutionen Galerie, Ausstellung, Kunstbildband bekannt machen bzw. verbreiten. Wollte der Gesetzgeber das Internet als Verbreitungsweg ausschließen von der Kunstfreiheit, müsste das gesondert geregelt sein. Ad hoc eine solche Differenzierung vorzunehmen, ist jedenfalls kaum grundrechtskonform.
Ein Jurist auf Bluesky namens „kda“ (@kommtdraufan.bsky.social) argumentiert für den vorliegenden Fall damit, dass das Werk von Kühn ohne den erläuternden Text verbreitet worden sei. Das Werk eines Künstlers, das verbotene Kennzeichen enthält, dürfe nicht gekürzt oder verändert verbreitet werden, sonst verliere die Verbreitung den Kunst-Ausnahmetatbestand. Im Ergebnis könne sich der Verbreitende weder auf die Ausnahme „Kunst“ berufen noch auf den Tatbestandsausschluss bei eindeutig erkennbarer Ablehnung des Nationalsozialismus. Das kann für den vorliegenden Fall durchaus als Lösung überzeugen.
Ein anderes Problem ist damit aber noch nicht geklärt: Was ist/wäre mit der (vollständigen) Verbreitung der Kunst eines rechtsextremen Künstlers, die ein solches Kennzeichen enthält und zwar ohne eindeutige Distanzierung? Die bisherigen Kommentierungen gehen davon aus, dass dann wohl der Ausnahmetatbestand „Kunst“ im Lichte der gesetzgeberischen Intention beschränkt werden müsse, denn Kunst dürfe nicht als (rechtsextremistisches) Propagandamittel missbraucht werden. Die dafür notwendige Abwägung dürfte jedoch bei einem immer offener werdenden Kunstbegriff schwierig werden und im Strafrecht den (im Wortlaut unbeschränkten) Ausnahmetatbestand des § 86 Abs.4 einschränkend (und damit strafrechtserweiternd) zu interpretieren, dürfte ebenfalls nicht unproblematisch sein. Anstötz (MüKo § 86 StGB Rn. 39): „Entscheidend ist vielmehr eine Gesamtabwägung unter Einbeziehung der mit ihm verfolgten Zwecksetzungen.“ Das sagt viel und wenig zugleich.
Ich würde auch sagen, dass jeder und nicht nur der Künstler das Kunstwerk gem. § 86 Abs.4 StGB verbreiten darf. Wortlaut und telos der Ausnahmeregelung weisen in diese Richtung.
Das Problem des rechtsradikalen Künstlers würde ich ebenfalls durch eine teleologische Reduktion lösen. Für § 86 StGB, auf dessen Abs.4 ja verwiesen wird, erklärt Anstötz, dass inhaltliche Werbung für verfassungsfeindliche Organisationen sanktioniert werden soll (MüKoStGB/Anstötz, 4. Aufl. 2021, StGB § 86 Rn. 1). Werbung für verfassungsfeindliche Organisationen ist ohne Weiteres mittels der Verwendung von Kunst möglich.
Die strengen verfassungsrechtlichen Grenzen hinsichtlich Bestimmtheit und Wortlautgrenze gelten ohnehin für Ausnahmetatbestände nicht in gleicher Weise wie für den Verbotstatbestand. Ergänzend ist zu beachten, dass die Ausnahmeregelung als Ausprägung des allgemeinen Rechtfertigungsgrundes der Sozialadäquanz (auch wenn dieser dogmatisch unausgegoren ist) anzusehen ist. Rechtsradikale Kunst dürfte beim durchschnittlichen Betrachter eher zum Urteil der sozialen Inadäquanz führen.