Die heute publik gewordene Entscheidung des BGH 5 StR 382/24, nach der die Verwendung von K.O.-Tropfen nicht als Verwendung eines „gefährlichen Werkzeugs“ nach § 177 Abs.8 Nr.1 subsumiert werden könne, hat in den sozialen Medien viel Kritik erfahren:
Die Darstellung in der Presse (Spiegel-Online, LTO), insbesondere in den dortigen Überschriften, veranlasst einige zu der Annahme, der BGH habe hier lebensfremd die Gefährlichkeit der K.O.-Tropfen verkannt und deshalb den Täter geschont. Es ergebe sich das falsche Signal an Vergewaltiger, sie dürften künftig K.O-Tropfen verwenden, ohne dass sich die Strafe erhöhe. Es sei „Männerjustiz“, die von vornherein darauf angelegt sei, männliche Vergewaltigungstäter milder zu behandeln. Ja, besonders krass, die Justiz sei „innerlich moralisch im Kern verrottet“ – so ein Kommentator auf Bluesky.
Zumindest aber wird gefordert, das Gesetz müsse umgehend geändert werden, um K.O.-Tropfen wie ein gefährliches Werkzeug zu behandeln.
Ich vertrete hier den Standpunkt, dass der BGH-Senat hier alles richtig gemacht hat. Eine zwar durchaus mögliche (weitere) Gesetzesverschärfung ist aus Anlasss dieser Entscheidung nicht nötig, denn der Strafrahmen drei bis 15 Jahre (ohne Verwendung von K.O.-Tropfen, bereits nur beim Beisichführen) lässt es zu, deren Gefährlichkeit hinreichend zu berücksichtigen.
1. Dass K.O.-Tropfen gefährlich sind, daran besteht auch für den BGH kein Zweifel. Es geht vielmehr allein um den Werkzeug-Begriff, der mit gut nachvollziehbarer Begründung verneint wird, wie auch schon zuvor bei § 224 und bei § 250 StGB. Wichtig ist hier neben der Beschaffenheit als fester körperlicher Gegenstand die Wirkweise, die bei einem Werkzeug von außen, bei beigebrachten Giften/Stoffen von innen geschieht. Dass der BGH für K.O.-Tropfen als „anderes gefährliches Werkzeug“ in § 177 Abs. 7 und Abs. 8 jetzt keine andere Interpretation vornimmt, dem ist zuzustimmen. Und auch dass die Analogie-Bildung, die das LG hier vorgenommen hat, deutlich zurückgewiesen wird, ist zu begrüßen. Dass K.O.-Tropfen ebenso wirken wie ein „Holzknüppel“ ist salopp formuliert und kann am Stammtisch auch bestehen, aber es entspricht einfach nicht einer das Gesetzlichkeitsprinzip beachtenden juristischen Auslegung.
2. In § 224 Abs. 1 StGB („gefährliche Körperverletzung“) fallen K.O.-Tropfen unter die Nr.1 (als Gift oder anderer Stoff). Auch dadurch wird klar, dass es in der BGH-Entscheidung nicht um die zu bejahende „Gefährlichkeit“ der K.O.-Tropfen geht, sondern (allein) um die Frage, ob der Angriff mit einem Werkzeug erfolgte (vgl. § 224 Abs. 1 Nr.2, von wo der Werkzeugbegriff stammt).
3. Der Einsatz von K.O.-Tropfen, um Opfer gefügig zu machen, wird (unstreitig) zutreffend als „Gewalt“ nach § 177 Abs. 5 Nr.1 subsumiert mit der Folge der Verbrechensstrafe (1 Jahr Mindeststrafe) für den hier gegebenen sexuellen Übergriff. Die Subsumtion des Einsatzes von Betäubungsmitteln unter das Merkmal Gewalt gilt tatbestandsübergreifend und ist schon lange ständige Rechtsprechung.
4. Richtigerweise lassen sich K.O.-Tropfen nach § 177 Abs. 7 (wie auch in § 250 Abs.1 Nr.1 b) auch als „sonst ein … Mittel, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt … zu verhindern oder zu überwinden,“ subsumieren, was schon beim bloßen Beisichführen (also ohne Verwendung) die Strafdrohung auf mindestens drei Jahre erhöht.
5. Dass der BGH bei Ablehnung des Werkzeugbegriffs die K.O.-Tropfen nicht etwa verharmlost hat, lässt sich auch anderen Stellen der Entscheidung entnehmen. Auch bei zutreffender Verneinung des Werkzeugbegriffs sei nämlich eine ebenso hohe Strafe wie die vom LG ausgesprochene (3 Jahre 5 Monate) möglich gewesen. Und am Ende regt der fünfte Strafsenat des BGH an, die Verwirklichung des Qualifikationstatbestands nach § 177 Abs. 8 Nr.2b) („wenn der Täter…das Opfer… durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt“) zu prüfen, da die durch die K.O.-Tropfen mitverursachte Auffindesituation des Opfers durchaus auf eine konkrete Lebensgefährdung hinweisen könne. Es geht dem Senat also keineswegs um Milde für den Täter, wenn der Werkzeug-Begriff für K.O.-Tropfen verneint wird.
6. Die grundsätzliche Ansicht, Werkzeuge müssten als Gegenstände feste Form haben, ist bislang umstritten, und wird nun vom BGH ziemlich eindeutig bejaht. Dennoch kann zB eine Einwirkung durch Strahlen (Laser) oder Flüssigkeiten (Wasserstrahl), die außen auf den Körper des Opfers einwirken, als „Verwendung“ bzw. „mittels eines gefährlichen Werkzeugs“ subsumiert werden, denn die jeweils aussendenden Gerätschaften (etwa Hochdruckreiniger) haben jedenfalls Werkzeugeigenschaft. Die K.O.-Tropfen entwickeln ihre Gefährlichkeit aber eben nur, wenn sie in den Körper des Opfers eingebracht werden (vgl. § 224 Abs.1 Nr.1), so dass der BGH, insofern mit der h.M., eine unmittelbare Einwirkung des verwendeten Werkzeugs (hier: „Pipette“) von außen auf den Körper verneint.
7. Noch ein Seitenblick auf das nun aufgehobene Urteil des LG. Irritierend daran erscheint, dass das LG einerseits zwar § 177 Abs. 8 Nr.1 (Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs, Mindeststrafe 5 Jahre) bei K.O.-Tropfen bejaht hat, andererseits aber dasselbe Gericht einen minder schweren Fall nach § 177 Abs. 9 angenommen hat, um dadurch die Mindeststrafe wieder von fünf auf ein Jahr zu reduzieren. Die Begründung würde mich interessieren.
(Punkt 6 habe ich heute, 14.11.2024, ergänzt und auch weitere kleinere Korrekturen vorgenommen)
Der BGH hat m.E. auch zurecht die Werkzeugeigenschaft von KO-Tropfen verneint und ihre Verwendung aber als Qualifikationsmerkmal des § 177 Abs. 8 Nr.2b zur Prüfung angeregt. Ich frage mich, warum nicht auch § 177 Abs. 8 Nr.2a („bei der Tat körperlich schwer misshandelt“). Wenn KO-Tropfen nach § 177 Abs. 7 Nr. 2 ein Mittel sind, „um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt […] zu verhindern oder zu überwinden“ und schon das Beisichführen strafschärfend ist, dann ist schwer einzusehen, aus welchem Grund die Verwendung der KO-Tropfen keine körperlich schwere Misshandlung sein soll, gleichwohl aber den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1) erfüllt. Ich denke nicht, dass „schwere Misshandlung“ zwingend wie beim Werkzeug auf körperlich äußere Einwirkung abstellt.
Ich bin da eher skeptisch, denn schwere Misshandlung ist etwas anderes als Gefährdung. Liest man die Kommentare dazu, wird schwere Misshandlung eher verstanden als folterähnliche Behandlung, Zufügung großer Schmerzen oder schwerwiegender Verletzungen.
Im Grunde genügt für die schwere körperliche Misshandlung jede schwere Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens (BGH Urteil vom 13.9.2000, 3 StR 347/00). Es „muß die körperliche Integrität des Opfers schwer, das heißt mit erheblichen Folgen für die Gesundheit oder in einer Weise, die mit erheblichen Schmerzen verbunden ist, beeinträchtigt sein. Es genügen dabei heftige und mit Schmerzen verbundene Schläge (Laufhütte in LK 11. Aufl. § 176 Rdn. 24)“ (BGH Beschl. v. 27.05.1998, Az.: 5 StR 216/98, Rn. 4). Folterähnliche Behandlung, Zufügung großer Schmerzen oder schwerwiegender Verletzungen verletzen die körperliche Integrität des Opfers schwer und erfüllen daher das Merkmal der schweren körperlichen Misshandlung. Sie ist aber darauf nicht beschränkt.
In der Regel will der Täter durch die schwere Misshandlung die Wehrhaftigkeit des Opfers brechen und das Opfer sich gefügig machen. Wenn das Opfer aber unter Drogen gesetzt wird, dann wird das in der Regel zwar ohne großer Schmerzen einhergehen, aber mit dem gleichen Zweck und dürfte mit erheblichen Folgen für die Gesundheit des Opfers verbunden sein. Die Verabreichung von KO-Tropfen würde den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung nicht erfüllen, wenn sie nicht geeignet wären, die Gesundheit in erheblichem Maße zu schädigen. Ich denke, es ist dabei auch nicht erforderlich, dass der Täter eine dauerhafte Gesundheitsschädigung beim Oper herbeiführt. Das Opfer wird sich davon auch erholen können ohne dass die Gesundheitsschädigung und schwere körperliche Misshandlung entfallen.