In der JVA Augsburg-Gablingen seien Gefangene in besonders gesicherten Hafträumen misshandelt worden, so der schon seit einigen Tagen erhobene Vorwurf, zunächst veröffentlicht von der Augsburger Allgemeinen Zeitung. Eine Rechtsanwältin und die (ehem.) Anstaltsärztin der JVA schildern detailliert, was vorgefallen sei, Zitat (Bayerischer Rundfunk, 26.10.2024):

„Besonders über ihre Visiten in den sogenannten „Besonders gesicherten Hafträumen“, kurz BgH. Hier können Häftlinge eingesperrt werden, wenn sie Suizid-Absichten äußern oder Personal attackiert haben.

„Zu 80 Prozent hatten die Häftlinge keine Matratze und waren komplett nackt.“ Schon bald darauf beginnt Katharina Baur, den Umgang mit den Häftlingen zu dokumentieren.

Eigentlich seien drei Tage in der Zelle die Grenze. Doch in Gablingen sei es vorgekommen, dass Häftlinge zwei bis drei Wochen dort eingesperrt gewesen seien. Auch Waschen hätten sich die Männer nicht können. „Klopapier habe ich nie in den Räumen gesehen“, berichtet Baur.

Zudem sei es in den Zellen ständig dunkel gewesen. „Die Insassen haben jedes Zeitgefühl verloren, sie wussten nicht mehr, ob es Tag oder Nacht ist.“ Ein psychisch kranker Häftling sei mit Anlauf gegen die Zellwände gelaufen, weil er es nicht mehr ertragen hätte, so Baur weiter. Ein paar Wochen später sei dasselbe bei einem anderen Häftling passiert. Außerdem hätten Häftlinge durch das Liegen auf dem Betonboden Blutergüsse am Körper bekommen. „Viele sehen, dass es unrecht ist. Aber es traut sich keiner, was zu sagen.“

Heute (29.10.) berichtet der Bayerische Rundfunk, dass diese Vorwürfe gegen Mitarbeiter und Leitung der JVA Augsburg-Gablingen schon seit einem Jahr (!) dem Justizministerium bekannt sein sollen. Die Ärztin habe dem Ministerium bereits im Oktober 2023 darüber berichtet,
Zitat Bayerischer Rundfunk (29.10.2024):

„Am 18. Oktober 2023 versendet die damalige Ärztin der JVA Gablingen, Katharina Baur, eine Mail. Der Adressat: Das Bayerische Justizministerium, genauer gesagt das Fachreferat für den Justizvollzug. In dem Schreiben, das dem BR exklusiv vorliegt, schreibt die Medizinerin von „menschenunwürdigen Verhältnissen“, insbesondere in den sogenannten „besonders gesicherten Haftzellen“, kurz BgH. In solchen Zellen können Häftlinge untergebracht werden, wenn sie selbstmordgefährdet sind.“

Die Gefangenen seien in den Keller-Zellen „komplett nackt“ eingesperrt, hätten kein Nachthemd und auch keine Unterhose. „Sie haben keine Matratze, kein Kissen und keine Decke zu schlafen. Die Decke und die Matratze liegen vor dem Haftraum, wenn eine Kontrolle durch den Folterausschuss erfolgt, werden diese in den Haftraum verbracht“, so die Ärztin weiter. Die Häftlinge in den speziellen Zellen würden auf nacktem Betonboden schlafen.“ Je nach Dauer der BgH-Zeit sei es bei den Gefangenen zu Hämatomen gekommen. „Für mich sind diese Verhältnisse menschenunwürdig, nicht einmal Tiere müssen auf nacktem Betonboden schlafen“, heißt es in dem Schreiben weiter. Ein Duschen oder Waschen würde nicht stattfinden. Daher komme es je nach Dauer der BgH-Zeit „zu Ekzemen, Exanthemen und v.a. ausgeprägtem Juckreiz mit Kratzexkoriationen“.

In ihrer Zeit in der JVA habe es Wochen gegeben, „wo sowohl mein ärztlicher Kollege, als auch ich keinen Hinweis mehr auf Suizidalität hatten und dies auch von unserem Psychiater bescheinigt wurde, und der Gefangen wurde dennoch erst Tage später aus dem BgH entlassen.“

Damit ist die Erklärung des Justizministers vom gestrigen Tage (Bericht Zeit Online), die Vorwürfe würden „rückhaltlos“ aufgeklärt und würden „konsequent“ strafrechtliche und dienstrechtliche Konsequenzen zeitigen, heute schon Makulatur. Denn wenn das Justizministerium schon seit über einem Jahr rüpckhaltlos und konsequent Ermittlungen angestrengt hat, wo sind die Ergebnisse? Für mich hat es den Anschein, dass den Vorwürfen bislang eher zurückhaltend und inkonsequent nachgegangen wurde.

Wenn inhaltlich zutrifft, was die Ärztin beschreibt, dann war dies nicht auf einen Einzelfall beschränkt, sondern geschah mehrfach. Dass man Decken und Matratze außerhalb der Zelle gelagert haben soll, um sie für den Fall, dass die unabhängige Folterkomission die Zustände in der Anstalt überprüft, in die Zelle zurückzulegen, belegt nicht nur Unrechtsbewusstsein und direkten Vorsatz der Bediensteten, sondern auch etwas, was in der Alltagssprache „kriminelle Energie“ genannt wird. Kann ein solches Verhalten von Bediensteten tatsächlich ohne Wissen und Duldung der (gesamten) Anstaltsleitung geschehen sein, zumal nach den Berichten die stellvertretende Anstaltsleiterin selbst in die Vorfälle verwickelt gewesen sein soll und deshalb auch gegen sie ermittelt wird.

Wenn ein Ministerium von einer Ärztin auf diese Weise konkret informiert wird, dann MUSS das Ministerium SOFORT reagieren, denn hier stehen sehr gravierende Vorwürfe im Raum, absolut rechtsstaatsunwürdige, ja kriminelle Zustände betreffend, ausgerechnet in einer Justizvollzugsanstalt – in der Augsburger Anstalt werden laut Vollstreckungsplan hauptsächlich Untersuchungshaft und Erststrafen bis sechs Jahre vollzogen. Die (gesamte) Anstaltsleitung hätte dann sofort intensiv befragt werden müssen, und wenn die Vorwürfe nicht plausibel und vollständig ausgeräumt worden wären, dann durfte diese Anstaltsleitung keinen einzigen Tag länger im Amt bleiben.

Wenn aber sich die Vorwürfe vom Oktober 2023 inzwischen als falsch und haltlos herausgestellt hätten, dann wäre das Justizministerium umgekehrt verpflichtet, sich deutlich vor das Personal der Anstalt einschließlich der Anstaltsleitung zu stellen.

Gegenüber der Augsburger Allgemeinen Zeitung äußerten sich die Verteidiger der mitbeschuldigten stellvertretenden Anstaltsleiterin so:

Man nehme die Vorwürfe, die gegen ihre Mandantin bezüglich der Unterbringung von Häftlingen in „besonders gesicherten Hafträumen“ (bgH) erhoben wurden, sehr ernst, teilen die Strafverteidiger Holm Putzke, Alexander Stevens und Thomas Krimmel in einer schriftlichen Erklärung gegenüber unserer Redaktion mit. Man weise diese entschieden zurück. „Unsere Mandantin sieht es als ihre oberste Pflicht an, für die Sicherheit sowohl der Inhaftierten als auch der Bediensteten zu sorgen und dabei selbstverständlich stets rechtskonform zu handeln.“ Alle Maßnahmen, die in der Justizvollzugsanstalt von ihr getroffen worden seien, seien ausschließlich im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls erfolgt. Die Anschuldigungen einer menschenunwürdigen Behandlung entbehrten »auf Basis der vorliegenden Informationen jeglicher Grundlage«.

Selbstverständlich müssen sich die Beschuldigten in einem Strafverfahren verteidigen können, auch durch vollständiges Bestreiten der Vorwürfe. Aber „entbehrt jeglicher Grundlage“, das klingt so, als würde man die detaillierten Angaben der Anstaltsärztin pauschal als unwahr zurückweisen.

Was ist von seiten des Ministeriums im Oktober 2023 geschehen?

„Eine Sprecherin des Justizministeriums teilte am Dienstagnachmittag auf BR-Nachfrage mit: „Es trifft zu, dass sich die damalige Anstaltsärztin der JVA Augsburg-Gablingen am 18. Oktober 2023 mit einer Eingabe insbesondere zu der Unterbringung von Gefangenen in den besonders gesicherten Hafträumen in der JVA Augsburg-Gablingen an die Strafvollzugsabteilung des Staatsministeriums der Justiz gewandt hat. Dies wurde sehr ernst genommen und nach interner Prüfung umgehend am 26. Oktober 2023 an die zuständige Staatsanwaltschaft Augsburg weitergeleitet, die Vorermittlungen einleitete.“ Die Weiterleitung an die Staatsanwaltschaft sei das „schärfste Schwert zur Aufklärung solch gravierender Vorwürfe“, teilt die Sprecherin mit.“

Ob acht Tage „interne Prüfung“ vor einer Weiterleitung an die Staatsanwaltschaft tatsächlich „umgehend“ ist bei möglicherweise ja noch akut  anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in der Anstalt, wage ich zu bezweifeln. Hier ging es nicht nur um nachgelagerte Strafverfolgung, sondern zunächst um Gefahrenabwehr. Wenn einer Fachaufsicht so etwas bekannt wird, muss meines Erachtens unverzüglich so reagiert werden, dass die (möglichen) Rechtsverletzungen unterbunden werden. Ist dies geschehen? Die Pressesprecherin schweigt dazu und bezeichnet die Informierung der Staatsanwaltschaft als das  „schärfste Schwert“? Es hat sich jedenfalls hier als (zunächst) stumpf erwiesen:

„Die Anstaltsärztin konnte die von ihr geschilderten Vorfälle nicht näher konkretisieren, insbesondere keine Namen von betroffenen Gefangenen nennen. Die Anstalt wies die erhobenen Vorwürfe im Vorermittlungsverfahren zurück. Mit Verfügung vom 19. August 2024 sah die Staatsanwaltschaft Augsburg mangels zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für Straftaten von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ab“. Man habe die Ermittlungen jedoch bereits kurz danach wieder aufgenommen, nachdem weitere Hinweise eingegangen seien.

Wie bitte? Es gibt von einer Anstaltsärztin konkret und detailreich vorgetragene Angaben und das aufsichtführende Justizministerium, das u.a. die Aufgabe hat, durch seine Aufsicht Menschenrechtsverletzungen in Strafvollzugsanstalten zu verhindern, gibt sich mit der (abstreitenden ) Angabe der Vorgesetzten der (nunmehr) Beschuldigten zufrieden?  Und dann wird nach zehn Monaten(!) „Vorermittlungen“ gar nicht erst richtig ermittelt? Und die Vorwürfe bleiben einfach im Raum stehen?

Zum jetzigen Stand die Staatsanwaltschaft, zitiert nach Augsburger Allgemeiner Zeitung

„Es besteht der Anfangsverdacht, dass einzelne Gefangene möglicherweise unbekleidet in einem ‚besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände‘ untergebracht worden sein sollen, ohne dass die besonderen Voraussetzungen für diese Maßnahme vorlagen“, so ein Sprecher der Augsburger Staatsanwaltschaft. Zudem gehen die Strafverfolgungsbehörden Vorwürfen nach, wonach es zu tätlichen Übergriffen einzelner Beschäftigter auf einzelne Gefangene gekommen sein soll. Bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gilt die Unschuldsvermutung.

Justizminister Eisenreich möchte dazu kein Interview geben, obwohl er in der Behördenhierarchie mit Weisungsrecht sowohl den Justizvollzugsanstalten als auch den Staatsanwaltschaften übergeordnet ist und zumindest in dieser Rolle etwas sagen könnte, um das Vertrauen in seine Behörden zu festigen.

„Aus dem Justizministerium selbst heißt es auf BR-Anfrage, dass ein Interview mit dem Minister „nicht möglich ist“. Schriftlich äußert Eisenreich: „Selbstverständlich stehe ich dem bayerischen Landtag jederzeit gerne zur Verfügung, um über den Stand der Aufklärung zu berichten.“

Update: Inzwischen (heute, 31.10.2024) gibt es eine Stellungnahme des Justizministers vor der Presse. Zum Inhalt gehe ich demnächst in einem neuen Beitrag ein.

Sicher, vom Landtag hat er politisch weniger zu befürchten als von einer kritischen Öffentlichkeit. Eine solche Blockade macht politisch einen ganz schwachen Eindruck. Es wäre auch nicht das erste Mal, dass ein bayerisches Justizministerium erst durch hartnäckige Öffentlichkeit (und durch den Ministerpräsidenten) auf den richtigen Weg gebracht werden muss – die Affäre Mollath lässt grüßen. Die Fragen, die in einem solchen Interview gestellt werden müssten, liegen auf der Hand: Wann hat der Minister persönlich von den Vorwürfen erfahren? Was hat er bzw. das Ministerium sodann (neben der Informierung der StA Augsburg) veranlasst? Ab wann genau wurden die rechtswidrigen Zustände, falls sie sich bestätigten, unterbunden? Falls sie sich nicht bestätigten, was wurde dann gegen die Anstaltsärztin unternommen? Was genau wurde als „Vorermittlung“ von der StA Augsburg veranlasst? Welche weiteren Hinweise führten dann (wann) zu den derzeitigen „echten“ Ermittlungen der StA? Wie lange konnten die betreffenden Bediensteten in der Anstalt und die Anstaltsleitung noch nach Oktober 2023 ihrem Dienst nachgehen und möglicherweise weiterhin Gefangene misshandeln? Gibt es Erkenntnisse des Ministeriums dazu, ob möglicherweise auch in den anderen Anstalten in Bayern mit Gefangenen in besonders gesicherten Hafträumen auf rechtswidrige Weise umgegangen wird?

Dass mit bgH auch in anderen bayerischen Anstalten nicht immer alles mit rechten Dingen zugeht, belegt übrigens eine Entscheidung des LG Regensburg (Strafvollstreckungskammer) aus dem Januar 2024 (LG Regensburg, Beschluss v. 23.01.2024 – SR StVK 1482/23). Der erfolgreiche Antrag auf gerichtliche Entscheidung eines Gefangenen der JVA S. stammt vom Oktober 2023 – in derselben Woche gestellt, in der die Augsburger Anstaltsärztin an das Ministerium schrieb.

4 Gedanke zu “JVA Augsburg-Gablingen – Versäumnisse des Justizministeriums?”
  1. Für die geschichtliche Entwicklung des Verfassungsstaats war grundlegend, dass die damaligen Monarchen sich selbst dazu verpflichtet haben, Regeln aufzustellen, an die sie selbst gebunden sein wollten. Damals keine Selbstverständlichkeit für einen Souverän, der sie ja waren. Mit der Umsetzung ließen sie sich und ihre Nachfolger auch sehr viel Zeit.

    Der Souverän in einer Republik ist inzwischen das Staatsvolk. Die Ausübung der Staatsgewalt geht zwar von Staatsvolk aus, aber es übt sie (aus vielen guten Gründen) nicht selbst aus. Ähnlich wie bei Monarchen, doch mit deutlich schwächeren Einwirkungsmöglichkeiten auf diejenigen, die Staatsgewalt für sie ausüben. Für den Bereich der Justiz einschließlich der Strafvollstreckung wird diese Aufgabe dem Justizminister demokratisch anvertraut. Ein nach deutscher Verfassung zwingender Minister-Posten. Viele andere Ministerien kann die Regierung im Bund und Land beliebig bestimmen.

    Wenn Staatssouveränität noch eine Bedeutung haben soll und in einer Republik dem Staatsvolk noch eine nennenswerte Einwirkungsmöglichkeit erhalten werden kann, dann ist das über die politisch unabhängigen Medien. Gelegentlich als vierte Staatsgewalt deswegen bezeichnet. Wenn es dann heißt:

    „Aus dem Justizministerium selbst heißt es auf BR-Anfrage, dass ein Interview mit dem Minister „nicht möglich ist“. Schriftlich äußert Eisenreich: „Selbstverständlich stehe ich dem bayerischen Landtag jederzeit gerne zur Verfügung, um über den Stand der Aufklärung zu berichten“,

    dann verweigert er dem Staatsvolk und dem Souverän die Auskunft über sein Tun und das seines Ministeriums. Er verweist darauf, lediglich einem Volksvertreter, dem Landtag gegenüber für einen Bericht bereit zu sein. Eine Gesinnung mit Angriff auf die verfassungsrechtliche Republik. Alternativ (genauer: kumulativ) kann man die Möglichkeit nicht ausschließen, dass der Justizminister gar keine Ahnung hat über die Vorgänge in seinem Ressort und er im Landtag ein besseres Verständnis dafür erwartet, als in der Öffentlichkeit. An dem Angriff auf verfassungsrechtliche Republik ändert das aber nichts.

    Wie gut, dass er im Ministerium über verfassungstreue Beamte und pfiffige Mitarbeiter verfügt, die ihm aus der Klemme helfen wollen mit der Bekanntgabe:

    „`Das Justizministerium arbeite daran, die Vorwürfe aufzuklären, sagte eine Sprecherin. „Wir werden insbesondere die Unterbringung in besonders gesicherten Hafträumen auf den Prüfstand stellen“, sagte sie. In dem Gefängnis sei „bis auf Weiteres jede Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ab dem ersten Tag der Anordnung berichtspflichtig.“‚(ZEIT ONLINE, dpa, caf )

  2. Lieber Herr Kolos,
    schön, dass Sie meinen Blog gefunden haben. Vielen Dank für Ihren Kommentar. Inzwischen ist ja eine zeitlich ausführliche öffentliche Erklärung des Justizministers erfolgt. Die lässt allerdings auch noch Fragen offen. Was bisher in der kritischen Öffentlichkeit etwas zu kurz kommt, ist die Tatsache, dass Herr Eisenreich als Justizminister nicht nur die Aufsicht über die JVA in Bayern innehat (wenn auch nicht persönlich zeitnah ausübt), sondern auch über die Staatsanwaltschaften. Die Einschätzung, die Abgabe der Angelegenheit an die StA Augsburg im Oktober 2023 sei schon das „schärfste Schwert“ gewesen, ist, wenn man das Ergebnis sieht (- ein Jahr Verschleppung -), eher wenig überzeugend. Und insbesondere wenn ein potentiell krimineller Zustand andauert, wäre unmittelbare unangekündigte Überprüfung und Befragung in der JVA Gablingen eher angezeigt gewesen als die Abgabe an eine Staatsanwaltschaft, die hier offenbar zum Jagen getragen werden musste.
    Viele Grüße
    Henning Ernst Müller

  3. Lieber Herr Professor Müller,

    ich befürchte, dass die menschenunwürdigen Zustände bei Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum sich weder auf Gablingen, noch auf Bayern beschränken und keinesfalls Einzelfälle sind, sondern regelmäßig und bundesweit vorkommen. Schon vor knapp zehn Jahren hatte das BVerfG über eine VB zu Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum (in JVA Kassel I) entschieden, die ein Häftling erfolgreich und offenbar selbständig eingelegt hatte. Das dürfte aber eher selten der Fall sein. Das BVerfG (Beschluss vom 18. März 2015 – 2 BvR 1111/13) hat klargestellt, dass den Gefangenen unmittelbar und gleichzeitig mit der Entkleidung Ersatzkleidung aus schnell reißendem Material zur Verfügung zu stellen ist, wenn die Entkleidung überhaupt erforderlich sein sollte, „um ihm ein Mindestmaß an Intimsphäre zu bewahren und ihn nicht zum bloßen Objekt des Strafvollzuges zu degradieren (vgl. nur Arloth, StVollzG, 3. Aufl. 2011, § 88 Rn. 4; Feest/Köhne, in: Feest/Lesting, StVollzG, 6. Aufl. 2012, § 88 Rn. 11)“. Anderenfalls verletze sie den Gefangenen in seiner Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG. Offenbar ist diese Entscheidung noch nicht in allen JVAs angekommen oder sie wird schlicht missachtet. Es wird nicht viele Häftlinge geben, die in der Lage sind, sich erfolgreich dagegen zur Wehr zu setzen und über das erforderliche Stehvermögen verfügen. Zumal sie an den menschenunwürdigen Zuständen ihrer Unterbringung ohnehin nichts mehr werden ändern können, sondern allenfalls ihre Feststellung erreichen. Auch mit einer Verschleppung des Verfahrens muss gerechnet werden. Der o.a. VB lag eine Unterbringung aus dem Jahr 2010 zugrunde.

    Die Berichterstattung über die Zustände in Gablingen sollte daher ein Aufruf an alle Justizminister sein, die Zustände in ihren JVAs auf den Prüfstand zu stellen. ME sollte jede Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ab dem ersten Tag der Anordnung nicht nur bis auf Weiteres berichtspflichtig sein, sondern zur standardmäßigen Praxis gehören (wegen der besonderen Gefahr für Verletzung der Menschenwürde von Gefangenen). Die Anordnung einer sofortigen Berichtspflicht setzt aber ein ernsthaftes Interesse der Justizministerien voraus, über die Vorfälle in ihren JVAs informiert zu werden.

    Auch eine Berichtspflicht der Staatsanwaltschaft über den Ermittlungsstand von Strafanzeigen, die von oder über das Justizministerium eingelegt werden, sollte gängige Praxis sein. In NRW ist sie das, jedenfalls hoffe ich, dass es noch so ist. Aber in Bayern läuft einiges anders. Es ist aber auch möglich, dass in Bayern eine Berichtspflicht der Staatsanwaltschaft in solchen Fällen zur gängigen Praxis gehört. Das könnte dann weitere Fragen aufwerfen.

    P.S.
    Ich danke Ihnen, Herr Professor Müller, dass sie Ihre Arbeit in diesem Blog fortgesetzt haben.

    Viele Grüße

    Waldemar Kolos

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